DOMRADIO.DE: Dass wirklich viele Flüchtlinge nach Europa gekommen sind, das war vor zweieinhalb Jahren. Heute sind die Zahlen niedriger. Wie haben sich die Aufgaben in der Arbeit mit Flüchtlingen dadurch geändert?
Stephan Thönnessen (Flüchtlingsaktivist Rhein-Kreis Neuss): Im Wesentlichen sind wir von den chaotischen Verhältnissen am Anfang zu geordneten Situationen übergegangen - mit dem leider negativen Effekt, dass viele Ehrenamtliche in der Zwischenzeit abgesprungen sind und sehr viel Arbeit auf wenige Schultern verteilt wird.
DOMRADIO.DE: Anfangs hatte man den Eindruck, dass die deutschen Behörden in Sachen Asylanträge, Unterbringung und Integration überfordert waren. Auch Sie arbeiten häufig mit ihnen zusammen, wie stellt sich die Kooperation heute dar?
Thönnessen: Im Bereich Neuss kann ich sagen, dass wir eine gute Kooperation haben, wenn man das Feld Arbeit ausschließt. Die Zusammenarbeit mit den Stadtverwaltungen funktioniert ebenfalls sehr gut und auch die anderen Ämter haben sich soweit darauf eingestellt, die Flüchtlinge mit sehr positiven Angeboten zu unterstützen.
DOMRADIO.DE: Also sind die Rahmenbedingungen besser geworden, aber trotzdem gibt es weniger Ehrenamtler, wie erklären Sie sich das?
Thönnessen: Wahrscheinlich ist das ein gewöhnlicher Verschleiß, am Anfang war die Euphorie sehr hoch aber auf der anderen Seite ist die Arbeit äußerst belastend. Nach wie vor sind die Flüchtlinge in einer verzweifelten Situation. Wir haben zwar Obdach und Essen gegeben aber gerade beim Thema Arbeit und Perspektive hapert es, von Traumabewältigung ganz zu schweigen.
DOMRADIO.DE: Nun hat sich auch das gesellschaftliche Klima gegenüber Flüchtlingen und auch der Flüchtlingsarbeit geändert. Inwiefern macht sich das auch in Ihrer Arbeit bemerkbar?
Thönnessen: Das merkt man schon, weil früher die Ehrenamtler in ihrer Tätigkeit hoch angesehen waren. Heute ist es so, dass man erklären muss, warum man die Arbeit macht - auch mit dem nachvollziehbaren Hintergedanken, dass eigentlich viel hauptamtliche Arbeit durch Ehrenamtler übernommen wird.
DOMRADIO.DE: Belastet dieser Punkt auch so ein Team von Helfern?
Thönnessen: Eigentlich nicht, weil die meisten, die jetzt noch aktiv sind, machen das schon sehr lange. Ich selber bin schon 25 Jahre im Asylbereich tätig man ist irgendwo dran gewöhnt aber ich habe angekündigt, dass ich dieses Jahr aufhöre, weil ich nicht mehr einsehe, dass ich die Sachen kostenlos mache. Im Wesentlichen sind es doch Aufgaben, die der Staat übernehmen müsste.
DOMRADIO.DE: Woran liegt das, dass der Staat eigene Aufgaben nicht übernimmt und auf Menschen wie Sie ablegt?
Thönnessen: Ich sehe nach wie vor eine große Distanz zwischen den Verantwortlichen und den Flüchtlingen. Das heißt, die, die die Entscheidungen treffen sind zu weit weg. Es liegt dann immer an den Betreuern und Paten, dass sie als Kommunikatoren auftreten und die Probleme der Flüchtlinge aus zweiter Hand weitergeben, aber dieser Prozess läuft eher schleppend bis gar nicht.
DOMRADIO.DE: Was muss sich in Zukunft in Sachen Flüchtlingsarbeit Ihrer Meinung nach ändern? Was kann und muss da auch die Kirche tun, die ein großer Akteur in der Flüchtlingsarbeit ist?
Thönnessen: Der eine Teil ist der politische Prozess. Da sind wir hier relativ gut aufgestellt. Wir hatten Kontakte in die Landesregierung - mit dem Wechsel wird der wieder neu geknüpft. Der andere Teil betrifft die Kirche. Sie ist ein hervorragender Unterstützer in der Flüchtlingshilfe, sowohl finanziell als auch in der Ausbildung der Paten. Aber ich würde mir wünschen, dass die Muslime stärker in die Kirche kommen können.
DOMRADIO.DE: Inwiefern?
Thönnessen: Ein konkretes Beispiel: Ich habe mich direkt an den Kardinal gewandt, als die ersten Abschiebungen nach Afghanistan laufen sollten und wir praktisch in Hinterhöfen die Menschen noch nicht einmal beruhigen konnten, die von einer Abschiebung bedroht waren. Da wird einfach in Kriegsgebiete abgeschoben und das geht gar nicht. Ich würde mir diesbezüglich wünschen, dass die Kirche stärker Flagge zeigen kann und auch die Türen für Muslime öffnet.
Das Gespräch führte Christoph Paul Hartmann.