DOMRADIO.DE: Die Zuwanderung soll ja nun 180 000 bis 220 000 Menschen nicht übersteigen. Wie bewerten Sie das?
Heinrich Bedford-Strohm (Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Vorsitzender des Rates der EKD): Zunächst einmal muss man den Text sehr genau lesen: Da steht nämlich “bezogen auf den unmittelbar steuerbaren Teil der Zuwanderung”. Es wird auch ausdrücklich gesagt, dass das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention unangetastet bleiben. Und da kann man dann ja nichts nach oben hin begrenzen - gerade mit Blick auf das Grundrecht auf Asyl. Deswegen ist diese Formulierung nicht ganz so klar, wie sie in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Grundsätzlich geht es dabei um die Zahl der Flüchtlinge, die aktuell aufgenommen werden. Aus meiner Sicht ist aber auch klar, dass alle mithelfen müssen, auch Deutschland, wenn es besondere humanitäre Notlagen gibt von denen sehr viele Menschen betroffen sind. Dann kann man keine Grenze festlegen.
DOMRADIO.DE: Unabhängig vonden Zahlen, kam gerade aus den C-Parteien die Selbstbeglückwünschung, man hätte Migration begrenzt. Wie passt das mit Parteien zusammen, die sich doch am christlichen Weltbild orientieren?
Bedford-Strohm: Grundsätzlich würde ich sagen, dass man im Rahmen dieser ganzen Diskussionen um die Sondierungsergebnisse nicht auf die eigenen Erfolge verweisen sollte. Denn es muss ja eine Regierung zustande kommen. Und da müssen jetzt alle wechselseitig auch die jeweils anderen ermutigen, dass sie dem zustimmen können, anstatt die eigenen Erfolge darzustellen. Aus meiner Sicht ist es klar, dass es keine unbegrenzte Zuwanderung geben kann. Denn 65 Millionen Flüchtlinge kann Deutschland nicht aufnehmen und das hat in der Kirche auch niemals jemand behauptet. Es muss vielmehr darum gehen, die humanitären Notlagen zu beseitigen. Dazu gibt es verschiedene Schritte, die auch in den Sondierungsergebnissen schon zum Teil stehen - wie etwa Fluchtursachenbekämpfung und ähnliches. Aus meiner Sicht ist von der christlichen Grundorientierung her klar, dass wir uns als Christen darum kümmern müssen, dass menschliche Not überwunden werden kann. Das steht im Zentrum.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie nun das Bündel der Maßnahmen überblicken: Ist das Symbolpolitik oder sind das Schritte in die richtige Richtung?
Bedford-Strohm: Das muss man sicher differenziert beurteilen. Insgesamt muss man sich im Klaren darüber sein, was die Alternative ist, wenn man so eine Vereinbarung ablehnt. Will man wirklich Neuwahlen und will man, dass man am Ende vielleicht beim gleichen Ergebnis landet und die Menschen dann noch mehr das Vertrauen in die Politik verlieren? Das kann man sich aus meiner Sicht nicht wünschen. Deswegen hoffe ich, dass eine funktionsfähige und arbeitsfähige Regierung zustande kommt und Deutschland die Verantwortung in der Welt angemessen wahrnehmen kann.
Es gibt Punkte, die mich positiv überrascht haben, wie das Thema Klima: Zuerst hieß es ja, dass die Klimaziele 2020 aufgegeben werden sollen. Jetzt lese ich: "Wir bekennen uns zu den Klimazielen 2020, 2030, 2050 und die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 wollen wir so schnell wir möglich schließen und 2030 auf jeden Fall das Ziel erreichen." Das sind Schritte in die richtige Richtung, die ich für einen Fortschritt halte. Es sind auch Einschränkungen der Rüstungsexporte aufgenommen worden; ein Thema, das wir als Kirchen immer wieder betont haben.
DOMRADIO.DE: Also glauben Sie, dass das pragmatische Ziel einer stabilen, sicheren Regierung darüber steht, auf die fundamentalen Werte zu pochen?
Bedford-Strohm: Die jeweils jetzt betroffenen Parteien müssen das natürlich selbst entscheiden. Als Bischof kann ich von außen keine Ratschläge geben. Aber ich kann die Grundorientierungen nennen, um die es gehen muss und die auch politisch umgesetzt werden müssen. Dazu gehört, dass eine funktionsfähige Regierung da sein muss und wir nichts das Risiko eingehen dürfen, dass sich die Situation insofern verschlechtert, dass das Vertrauen in die Politik noch mehr verloren geht und dass auch die Extremen zunehmen. Das können wir uns nicht wünschen und das sage ich bewusst auch mit Blick auf die christlichen Grundorientierungen.
DOMRADIO.DE: Noch sind diese ganzen Forderungen und Pläne ja nicht in Stein gemeißelt. Was sind Ihre Forderungen an die Koalitionsparteien?
Bedford-Strohm: Mein Appell ist: Rauft Euch zusammen und stellt die Parteiinteressen hinten an! Das ist das allerwichtigste. Es muss jetzt zum die Frage gehen: Wie kann die Verantwortung, die alle Parteien für dieses Land haben, am besten ausgeübt werden? Das jeweilige Parteiinteresse muss dem hintenanstehen. Ich bin auch der Überzeugung, dass die Parteien, die sich hier jetzt verantwortungsbewusst zeigen, sich zusammenraufen und sich einigen auf etwas, das hoffentlich das Land voranbringt, am Ende keine Nachteile haben werden, sondern dass die Menschen das zu würdigen wissen. Das Zentrale ist, dass diese Verantwortung an erster Stelle steht.
Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.