DOMRADIO.DE: War vorhersehbar, dass die Rückführung nicht klappt?
Peter Seidel (Caritas international): Die Rückführung war aus unserer Sicht sowieso völlig unmöglich. Das ist ein politisches Statement, das aus politischen Interessen formuliert wurde.
DOMRADIO.DE: Inwieweit?
Seidel: Schauen wir nach Bangladesch: In der Bevölkerung des bitterarmen Landes entsteht langsam eine Neid-Diskussion über die Unterstützung der Flüchtlinge. Die Regierung möchte natürlich gegenüber ihrer Bevölkerung zeigen, dass sie Interesse daran hat, diese Flüchtlinge wieder nach Myanmar zurückzuschicken. Die Regierung in Myanmar möchte hingegen der Weltöffentlichkeit zeigen, dass sie Willens ist, diese Flüchtlinge wieder zurückzunehmen.
DOMRADIO.DE: Und Sie meinen, das ist nicht realistisch und auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge abgestimmt?
Seidel: Die Bedingungen dafür, dass sie in ihre Heimat zurückkehren können, sind nicht gegeben. Die Dörfer der Menschen in Arakan in Myanmar wurden niedergebrannt. Es gibt da überhaupt nichts, wohin diese Menschen im Moment zurückkehren können.
DOMRADIO.DE: Wollen Sie denn zurückkehren?
Seidel: Die allermeisten wollen das im Moment bei der derzeitigen Situation gar nicht. Sie haben keinerlei Sicherheit, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können.
DOMRADIO.DE: Wie reagieren die Flüchtlinge selbst? Man hört von Aufständen in den Camps? Sie haben Mitarbeiter vor Ort. Was berichten die?
Seidel: "Aufstände" ist ein großes Wort. Es gab Versammlungen in den Camps, wo die Flüchtlinge darüber diskutiert haben, was sie denn selber von den Rückführungsverhandlungen halten. Sie sehen das natürlich sehr kritisch.
DOMRADIO.DE: Heißt das, sie wollen aus Angst nicht nach Hause?
Seidel: Die meisten Flüchtlinge – das ist überall und auch hier in Deutschland so – würden grundsätzlich natürlich liebend gern wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn das die Bedingungen vor Ort erlauben.
DOMRADIO.DE: Welche Bedingungen sind kritisch?
Seidel: Die Rohingya haben in Myanmar keine Staatsbürgerschaft und damit auch keinerlei Rechte. In Myanmar hat das Militär sehr viel Einfluss und ist auch so dreist zuzugeben, dass sie Menschenrechtsverbrechen begangen haben - ohne daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. In der Situation ist für die Flüchtlinge völlig klar, dass sie in diese unsichere Situation nicht zurückkehren wollen.
DOMRADIO.DE: Das klingt nach Stillstand. Was kann denn jetzt passieren. Man kann ja auch nicht sagen, wir belassen sie jetzt erst mal in Bangladesch?!
Seidel: Im Moment gibt es leider keine Alternative dazu. Sie zwangsweise zurückzuschicken würde bedeuten, dass diese Menschenrechtsverletzungen in Myanmar dann weitergehen würden, oder dass die Leute in Konzentrationslager kommen, die dann unter der Kontrolle des Militärs von Myanmar stehen. Das kann ja keiner wollen. Von daher muss sich diese grundlegende Situation in Myanmar erstmal ändern, bevor die Menschen zurückkehren könnten.
DOMRADIO.DE: Das bedeutet, man kann sie jetzt nur vor Ort unterstützen?
Seidel: Vor Ort sind einige Organisationen, darunter von der UN, die helfen. Wir unterstützen die lokale Caritas in Bangladesch, die seit Beginn der Katastrophe die Flüchtlinge unterstützt. Nichtsdestotrotz reicht die Hilfe in den provisorischen Camps in Anbetracht des riesigen Bedarfs von 700.000 Menschen natürlich bei weitem nicht aus. So viele Menschen zu ernähren, Toiletten zu stellen und zu schauen, dass dabei das Trinkwasser nicht verschmutzt wird - das sind gigantische Herausforderung, die bisher noch nicht zufriedenstellend gelöst sind.
Das Interview führte Silvia Ochlast.