DOMRADIO.DE: Der Papst sagt deutlich, die internationale Gemeinschaft dürfe "keine stumme und unbeteiligte Zuschauerin sein". Erwarten Sie, dass diese Mahnung bei den Staatschefs ankommt und Wirkung zeigt?
Dr. Irfan Ortac (Vorsitzender des Zentralrats der Jesiden in Deutschland): Wir sind zunächst einmal sehr dankbar, dass der Heilige Vater unmissverständlich an die Welt appelliert hat, dass man nicht zulasse, dass in unserem Jahrhundert weiterhin Menschen aufgrund ihres Glaubens verfolgt und getötet werden. Deswegen sind wir sicher, dass diese Worte des Heiligen Vaters viele Menschen und vielleicht auch Regierungschefs wachrütteln.
DOMRADIO.DE: Seit einigen Wochen gehen die türkischen Truppen hart gegen die kurdischen Milizen vor. Die Jesiden in der Region sind Ihren Angaben zu Folge extrem bedroht. Woher kommt diese Bedrohung, wenn es der Türkei doch offiziell um den Kampf gegen den IS und gegen militante Kurden geht?
Ortac: Das ist eine wichtige Frage. Afrien war schon immer als eine Region der Vielfalt bekannt. Und alle haben dort seit Jahrhunderten Tür an Tür zusammengelebt – bis vor vier Tagen. Die Angst kommt von dschihadistischen Gruppen, die an der Seite der Türken an diesem Kampf beteiligt sind. Das sind Dschihadisten, die ideologisch nicht von denen zu unterscheiden sind, die bis vor Kurzem in Rakka oder in Mossul waren. Das sind die Dschihadisten, die alles auslöschen wollen, was nicht in ihrem Sinne ist. Sie werden die Tötung von Jesidinnen und Jesiden legitimieren und das als normal empfinden.
DOMRADIO.DE: Die Befürchtung ist, dass die Jesiden aus der Region vertrieben werden sollen. Wie ist dieser Konflikt überhaupt zu lösen?
Ortac: Es ist sehr schwierig, seit Tagen haben wir einen Krisenstab errichtet, der sowohl mit der Region in Kontakt ist, aber auch mit den Regierungen in Europa. Ich persönlich bin seit Tagen mit dem Außenministerium in Kontakt und mit den politischen Vertretern. Wir haben Freunde nach Brüssel und in den Vatikan geschickt. Die Hoffnung stirbt zuletzt, ansonsten müssten wir mit unserer Arbeit aufhören. Natürlich haben wir noch Hoffnung, dass wir eine Zukunft in der Region haben. Im Übrigen muss es klar sein, wer die Region verlässt – egal ob Jeside oder eine andere religiöse Minderheit – wird nicht mehr zurückkehren. Das heißt, sie sind ein für alle Mal ausgelöscht.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.