Leitungswechsel beim Therapiezentrum für Folteropfer

Ein Leben für Geflüchtete

Nach 35 Jahren gibt Brigitte Brand-Wilhelmy die Leitung des Therapiezentrums für Folteropfer in Köln ab. Als sie die Einrichtung Mitte der 1980er Jahre gründete, war diese eine der ersten ihrer Art in der Bundesrepublik.

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Brigitte Brand-Wilhelmy (r.) und Susanne Nießen (Caritas Köln)
Brigitte Brand-Wilhelmy (r.) und Susanne Nießen / ( Caritas Köln )

Manche Geschichten wird Brigitte Brand-Wilhelmy niemals vergessen. Wie die des Jungen, der auf einem Schlauchboot über das Mittelmeer kam. Das Boot war hoffnungslos überladen, sodass Menschen über Bord geworfen wurden, damit es nicht unterging. "Darunter war auch seine Schwester, die nicht schwimmen konnte", erzählt die Psychologin. "Er musste mitansehen, wie seine eigene Schwester ertrank. Dieses Schuldgefühl hat den Jungen nicht mehr losgelassen". Noch heute stockt ihr die Stimme, wenn sie davon erzählt.

Der Junge fand Hilfe im Therapiezentrum für Folteropfer in Köln. Eine Einrichtung, die von der Caritas Köln getragen wird und sowohl Sozialarbeit als auch psychologische Betreuung anbietet. Denn rund 40 Prozent der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, gelten als schwer traumatisiert: Sie haben Krieg, Hunger, Vertreibung, Verfolgung oder Folter erlebt. Doch psychotherapeutische Angebote gibt es für sie nach wie vor zu wenige in Deutschland.

Vorreiter in den 1980er Jahren

Als Brigitte Brand-Wilhelmy das Therapiezentrum für Folteropfer 1985 gründete, war es als Modellprojekt des UNHCR eines der ersten seiner Art in der Bundesrepublik. Die Psychologin unterhielt die Einrichtung alleine, lediglich eine halbe Sekretärinnenstelle stand ihr zur Seite. "Es war die Zeit der Abschreckungspolitik und der Militärdiktatur in der Türkei", erinnert sie sich. Vor allem viele türkische Flüchtlinge kamen damals, ein Bewusstsein für die Probleme dieser Menschen habe es nicht gegeben, sagt sie. Dann kam der Jugoslawienkrieg, der zahlreiche schwer traumatisierte Flüchtlinge nach Deutschland trieb. Es gab die rechtsradikalen Angriffe auf Flüchtlingswohnheime und den Asylkompromiss, der das Recht auf Asyl in Deutschland einschränkte. "Es war also sehr notwendig, eine solche Einrichtung zu schaffen", fasst Brand-Wilhelmy zusammen. "Ich als Psychologin und Psychoanalytikerin habe einfach gesehen, dass diese Menschen Hilfe brauchen und es gab diese Hilfe nicht."

Heute arbeiten 16 Therapeuten in der Einrichtung, jedes Jahr finden dort über 1.000 Flüchtlinge Hilfe, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und ihrer Herkunft. Mittlerweile hat das Therapiezentrum für Folteropfer bundesweit Bekanntheit erlangt, der ehemalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble war bereits zu Besuch, der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unterstützt es, lange Jahre saß Rupert Neudeck im Beirat. Brigitte Brand-Wilhelm blickt stolz auf diese Entwicklung zurück: "Ich freue mich, dass wir so vielen Menschen helfen können und dass es uns auch gelungen ist, hier in der Stadt ein Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen."

Familienzusammenführung ist wichtig

Weniger Freude bereiten ihr allerdings die aktuellen Entwicklungen. Manchmal habe sie den Eindruck, Politik drehe sich im Kreis: "Die Rahmenbedingungen machen es den Menschen schwer, gesund zu werden", sagt sie und spielt auf die Diskussion über den Familiennachzug an: "Wie soll ein Vater oder eine Mutter gesund werden, wenn sie wissen, dass ihr Partner oder ihre Kinder in der Heimat vom Tod bedroht sind?", fragt sie. Zu Obergrenzen – oder wie auch immer die Begrenzung Schutzsuchender, die nach Deutschland kommen, genannt wird – hat sie eine klare Meinung: "Das geht gar nicht!" Erst am Dienstag hatten sich die Koalitionsparteien darauf geeinigt, dass der Familiennachzug bis Ende Juli ausgesetzt bleiben soll und danach auch nur 1.000 Menschen pro Monat zu ihren Angehörigen nachziehen dürfen.

Brigitte Brand-Wilhelmy geht nach 35 Jahren Arbeit für das Therapiezentrum in Köln in den Ruhestand, ihre Nachfolge tritt die Psychologin Susanne Nießen an. Sie hat bereits viele Jahre als Mitarbeiterin und stellvertretende Leiterin traumatisierte Menschen dort behandelt. Auch sie wünscht sich eine "offenere Asylpolitik", die sich "an den Menschen und weniger an Zahlen orientiert". Flucht bedeute immer eine Entwurzelung, sagt sie. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der Familie sei etwas sehr Tragendes. "Wenn man Menschen das wegnimmt, ist das sehr destabilisierend. Viele unserer Klienten haben Schuldgefühle, weil sie Angehörige zurückgelassen haben, es gibt auch so etwas wie "Überlebensschuld" – und das wird natürlich immer schlimmer, wenn klar ist, dass sie alleine bleiben und nicht dazu beitragen können, die Familie in Sicherheit zu bringen. Das ist häufig unerträglich!"

Die Arbeit wird Susanne Nießen im Sinne ihrer Vorgängerin fortführen. Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem eins: Dass sich die politische Situation in den Krisenherden der Welt verbessert, damit sich nicht so viele Menschen dazu gezwungen sehen, zu fliehen, sagt sie: "Denn niemand entscheidet sich leichtfertig zur Flucht."


Quelle:
DR