Selbst Brasiliens Arbeitsministerin bangt derzeit um ihren Job. Seit Anfang Januar verhindert die Justiz die Ernennung von Cristiane Brasil. Die Abgeordnete sei moralisch ungeeignet für den Kabinettsposten, habe sie doch selbst gegen das Arbeitsrecht verstoßen, heißt es. Die Verhinderte beschimpfte daraufhin in einem Strand-Video, das sie umringt von halbnackten Männern zeigt, ihre ehemaligen Mitarbeiter. Was sie sich nur dächten, sie wegen einer Kündigung zu verklagen, echauffiert sie sich.
Auf Jobsuche und ohne soziale Absicherung
Anders als die mit guten Diäten ausgestattete Abgeordnete schauen Millionen Brasilianer derzeit ungewiss in die Zukunft. 2017 endete mit einer Rekordarbeitslosigkeit von 12,7 Prozent; rund 13,2 Millionen Brasilianer stehen nach drei Jahren Wirtschaftskrise offiziell ohne Job da. Der Trend sei aber positiv, so die Regierung, die Talsohle durchschritten. Tatsächlich sanken die Zahlen gegen Jahresende.
Doch statt eine neue, adäquate Arbeit zu finden, gleiten immer mehr Brasilianer in den informellen Sektor ab. Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs ging in den vergangenen vier Jahren von 36 auf 33 Millionen zurück. Erstmals liegt die Zahl der nicht sozialversicherten Jobs mit 34 Millionen darüber. Das sind Menschen, die sich selbstständig gemacht haben, aber auch die Bonbonverkäufer an den Ampeln.
Kurzfristige Lösung: Informelle Jobs
"2017 konnte zwar der Verlust von Arbeitsplätzen gestoppt werden", so Cimar Azeredo vom staatlichen Statistikamt IBGE. "Es gibt aber kein Anzeichen dafür, dass neue sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen werden." Stattdessen versuchten viele das Glück auf eigene Faust, und ohne jegliche soziale Absicherung.
Arbeitslose Ingenieure fahren jetzt für das Privattaxi-Unternehmen UBER, Betriebswirte kassieren in Restaurants oder verkaufen selbstgemachte Süßigkeiten auf Parkplätzen. All das ist besser als überhaupt keine Perspektive, denken sich viele. Vier von fünf Arbeitslosen würden informelle Jobs annehmen, um überhaupt wieder in Arbeit zu kommen, ergab eine Umfrage - auch wenn das ein Rückschritt in der Berufskarriere bedeute.
Verfälschte Statistik
Erst gar keine Aufnahme in die Statistiken finden die ärmsten Brasilianer. Schließlich wird nur die "ökonomisch aktive Bevölkerung" gemessen. Nicht dazu gehört jenes Fünftel der Brasilianer, die von Sozialprogrammen wie "Bolsa Familia" (Familienstipendium) leben. In den ärmsten Regionen des Nordostens und Nordens stellen sie teilweise fast die Hälfte der Bevölkerung.
Im nordöstlichen Teilstaat Maranhao leben 48 Prozent von Sozialhilfe, im benachbarten Piaui 41 Prozent. Auf dem Land sind die Sozialprogramme oft die einzige Möglichkeit, den Familien ein Einkommen zu garantieren. Der Effekt für die lokale Wirtschaft sei positiv, meinen Experten. Doch Jobs würden dadurch kaum geschaffen.
Globalisierung ohne Brasilien
Überhaupt zeigen sich Experten besorgt über die Zukunft des Arbeitsmarktes. Rund 40 Prozent aller Unternehmen seien nicht auf die digitale Revolution vorbereitet, ergab eine IBGE-Analyse. Die Globalisierung der internationalen Wertschöpfungsketten sei an vielen brasilianischen Unternehmen vorbeigegangen; nun seien sie dem internationalen Wettbewerb mit seinen digitalen Innovationen nicht gewachsen. Weitere Millionen Jobs drohen verloren zu gehen.
Die Regierung hat jüngst eine umstrittene Reform des Arbeitsrechts durchgesetzt. Durch die Angleichung an internationale Standards sollte der Markt flexibler werden; bis zu sechs Millionen neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verspricht sich Brasilia davon. Gegner erwarten dagegen einen weiteren Anstieg des informellen Sektors; die Reform drücke immer mehr Arbeitnehmer in die Scheinselbstständigkeit.
Karneval betroffen von Notlage
Die unsichere Zukunft schlägt auch den Karnevalisten aufs Gemüt. Jeder zweite will dieses Jahr weniger Geld im Karneval ausgeben. Ganz darauf verzichten will man natürlich nicht. Vor allem der Straßenkarneval bietet die Möglichkeit, viel Spaß für wenig Geld zu haben.
Auf ihren Ministerjob verzichten muss hingegen wohl Cristiane Brasil. Am Sonntag tauchte eine Audioaufnahme auf, das sie als schlechte Chefin zeigt. Als Beauftragte für die Lebensqualität von Rentnern in Rio drohte sie ihren Mitarbeitern 2014 offen. Jeder von ihnen solle ihr 30 Stimmen für die anstehenden Wahlen bringen - sonst werde er umgehend rausgeworfen.