KNA: Priestermangel, Strukturreformen, sinkende Gläubigenzahlen - Denken Sie manchmal, dass es vor 30 Jahren einfacher war, Bischof zu sein als heute?
Bischof em. Joachim Reinelt (Emeritierter Bischof von Dresden-Meißen): In der DDR-Zeit war die gesamte Politik bis auf wenige Kontakte ausgeschlossen aus dem Bischofsdienst. Wir haben uns ganz bewusst rausgehalten, weil die DDR-Führung uns sonst ausgenutzt hätte für ihre Zwecke. Das ist mit der Wiedervereinigung völlig anders geworden. Das war anstrengender, fordernder - aber auch interessanter. Und wenn ich auf heute schaue, wissen Sie: Ich gehöre nicht zu denen, die immer nur bedauern und über dieses und jenes klagen. Das halte ich für wenig konstruktiv, zumal in einer demokratischen Gesellschaft. Wir haben heute als Kirche viele Chancen, gesellschaftlich zu gestalten!
KNA: Ist die Kirche aktuell besonders herausgefordert - in Sachsen etwa angesichts des hohen Zuspruchs für AfD und Pegida?
Reinelt: Ich meine schon, dass wir die Aufgabe haben, da gegenzusteuern. Aber ich denke, es hilft gar nicht viel, korrigierend auftreten zu wollen, sondern wir müssen positiv zeigen und vertreten, wie es anders gehen kann. Alle, die politische Verantwortung haben, machen einen Fehler, wenn sie nur mitlamentieren, um Zustimmung zu bekommen.
KNA: In Sachsen sind 80 Prozent der Bevölkerung konfessionslos. Hat sich der Atheismus in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Reinelt: Ich war vor kurzem mal in einem Atheisten-Club eingeladen, viele kluge Leute, und ich muss sagen, das Gespräch mit denen war lebendiger als manches Gespräch in einer Pfarrgemeinde. Eine scharfe Aversion gegenüber Christen - wie sie zu DDR-Zeiten in der Schule regelrecht antrainiert wurde - beobachte ich inzwischen nur noch ganz selten. Es ist durchaus eine gewisse Offenheit entstanden. Natürlich gibt es hin und wieder kontra, aber das tut uns auch ganz gut.
KNA: Sie wirken immer sehr fröhlich. Worüber können Sie sich denn eigentlich so richtig ärgern?
Reinelt: Ich ärgere mich über Oberflächlichkeit oder diesen Hass, den man derzeit bei manchen Demonstrationen sieht. Es hilft nur nicht viel weiter, sich bloß zu ärgern - sondern man muss überlegen, wie man vielleicht bei diesen Menschen das Nachdenken fördern kann. Wenn mir das nicht gelingt, ja - das finde ich dann schon ein bisschen ärgerlich.
KNA: Gibt es etwas in der Kirche, über das Sie sich ärgern?
Reinelt: Mich ärgert, wenn im Zuge von Strukturreformen die Seelsorger den Kontakt zu den Gläubigen verlieren. Gerade in der Diaspora braucht man persönliche Beziehungen. Es stört mich, dass manche Priester es sich zu leicht machen und sich hinter Verwaltung verstecken und sich mehr als Manager denn als Seelsorger sehen. Dann gehen die Gläubigen weg.
KNA: Sie sind nun 81 Jahre alt. Unlängst sagten Sie, die letzten Dinge stünden nun naturgemäß stärker im Fokus...
Reinelt: Bei einem amtierenden Bischof lässt die Hektik, die mit seinen Herausforderungen zusammenhängt, manchmal zu selten zu, in die Tiefe zu gehen mit dem Glauben, die persönliche Nähe zu Gott ganz bewusst zu suchen - das kann ich jetzt viel intensiver.
KNA: Was macht für Sie "gutes Altern" aus?
Reinelt: Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass man ganz bewusst auf das Lebensende - und damit verbunden den Beginn eines neuen Lebens - hinlebt. Wer in sein Lebensende quasi hineinstolpert und nicht darüber reflektiert, ist meist unruhig, und jedes kleine Zeichen von Krankheit wird zum Großalarm. Wenn man aber die Perspektive hat, nach dem Tod beginnt etwas Neues, dann ist das ganz anders, und ich fühle mich gelöster.
KNA: Kölns Kardinal Joachim Meisner starb im vergangenen Sommer - im Urlaub, mit dem Brevier in der Hand, beim Beten friedlich eingeschlafen. Der perfekte Tod?
Reinelt: Ja, so wünsche ich mir das auch! Das ist eine sehr schöne Möglichkeit zu sterben. Ich habe bei alten Priestern auch immer wieder erlebt, dass sie bei der unmittelbaren Vorbereitung auf die Messe verstorben sind - und die Messe selbst dann schon auf der "anderen Seite" gefeiert haben. Das ist ein schönes Zeichen.
Das Interview führte Karin Wollschläger.