Über zwei Jahrzehnte war er das Gesicht der deutschen Bischöfe. 1987 wählten die Bischöfe Karl Lehmann zum Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz. Er folgte damit auf Joseph Kardinal Höffner. Eine Überraschung. Denn Lehmann war kein Kardinal, nicht einmal Erzbischof. Er führte damals erst seit vier Jahren ein Bistum. Doch er hatte die Kirchenmänner durch seine Qualitäten als Theologe und als Vermittler zwischen verschiedenen Positionen schnell beeindruckt. Er wurde meist als "Brückenbauer" bezeichnet – zwischen Kirche und Welt, zwischen Konfessionen und Religionen, zwischen Kirche und Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Doch was hat den Bischof geprägt?
Nach seinem Abitur in der Heimat Sigmaringen auf der schwäbischen Alb trat er 1956 in das Priesterseminar in Freiburg ein. Es folgte das Studium in Rom, wo er mit 27 Jahren zum Priester geweiht wurde. Es war die Zeit des II. Vatikanischen Konzils, das er dadurch hautnah miterlebte. Aber auch durch seine Tätigkeit als Mitarbeiter des Konzilstheologen Karl Rahner, der die katholische Theologie für das Denken des 20. Jahrhunderts öffnen wollte. Für Lehmann waren diese Jahre eine Zeit des Aufbruchs. Er habe sich intensiv mit der modernen Welt beschäftigt, sagte er, und sich selber die Frage gestellt, wie die Kirche mit den neuen Herausforderungen umgehen könne. "Das hat mich ungeheuer angespornt und getragen", berichtete er selbst.
Wissenschaftliche Laufbahn in Mainz und Freiburg
Nach dem Konzil schlägt der Priester Lehmann die wissenschaftliche Laufbahn ein, wird Dozent für Dogmatik an der Universität in Mainz, später wechselt er nach Freiburg. 1983 geht er wieder zurück nach Mainz. Dieses Mal als Bischof. Nur vier Jahre später folgt die Wahl zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz.
Lehmann entwickelt sich zum harten Kämpfer: Gegen seinen Duzfreund Joseph Ratzinger und Papst Johannes Paul II. kämpfte der Mainzer seinerzeit für den Verbleib der deutschen Kirche im System der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung. Doch am Ende setzte sich Johannes Paul II. durch mit der Forderung, die Katholische Kirche dürfe keine Beratungsscheine mehr auszustellen, mit denen eine straffreie Abtreibung möglich ist. "Mir war von Anfang an klar, dass es anders ausgehen kann als ich dafür gekämpft habe", sagt Lehmann damals.
Erhebung in den Kardinalsstand
Anfang der 2000er wird Bischof Lehmann von Papst Johannes Paul II. in den Kardinalsstand erhoben. Für manche Beobachter etwas spät. Sie vermuten die Reibereien mit Rom als Grund. Als Kardinal ist er bei der Wahl von Papst Benedikt XVI. und Franziskus dabei. Beim reformfreudigen Franziskus und Lehmann tun sich Parallelen auf.
Noch bevor Franziskus die Diskussion über das Diakonat der Frau angestoßen hat, forderte Lehmann, man solle sich erneut mit dem Thema befassen. Das gelte auch für die "Viri probati".
Der liberale Kirchenmann
In den Medien wird er schon früh zum liberalen Kirchenmann stilisiert und die "anderen" zu den Konservativen. Lehmann selbst mochte das Wort nicht – die Vokabel war ihm zu beliebig. Aber all das macht ihn beliebt. Die Mainzer schätzten zudem seinen Humor und die Nähe zu den Gläubigen. 2002 wurde er etwa mit dem "Goldenen Schlitzohr" ausgezeichnet, drei Jahre später mit dem "Orden wider den tierischen Ernst". Er sagte damals "Wer die Hintertreppen des Vatikan kennt, überlebt auch den Aachener Karneval."
Seinen ordnungsgemäßen Rücktritt zum 75. Geburtstag hatte der Papst nicht angenommen – sondern erst 2016 zu seinem 80. Geburtstag. Zuletzt erschütterten Meldungen über einen schlechten Gesundheitszustand die Gläubigen. Im Oktober 2017 kam er nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus. Sein Zustand sei "stabil", hieß es damals. Doch so ganz erholte er sich nicht mehr. Im Rückblick auf sein Wirken sagte er selbst, er habe bestimmt irgendwo etwas falsch gemacht. "Aber ich habe alles, was ich gemacht habe, sehr sorgfältig überlegt." Von daher bereute er nichts.