KNA: Sind Sie eine Außerirdische?
Klaudia Hartmann (Leiterin des diözesanen Fachbereich für Religions- und Weltanschauungsfragen im Bistum Augsburg): Nein, eine Reptiloidin ... Doch Spaß beiseite: Dass manche Personen, vor allem Prominente, von einem fernen Stern stammen oder ominöse Mischwesen sind, die die Menschheit heimlich steuern, indem sie humane Gestalt annehmen, das glauben in der Tat immer mehr Leute. So wie Verschwörungstheorien überhaupt immer größere Verbreitung finden.
KNA: Woran liegt das?
Hartmann: Verschwörungstheorien gab es immer. Dank des Internets verbreiten sich solche Aussagen heute aber so schnell wie nie zuvor. Dass mehr und mehr Personen darauf ansprechen, liegt wohl auch daran, dass die Welt zunehmend komplexer erscheint. Verschwörungstheorien liefern einfache Erklärungen und geben Halt wegen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Sie bieten oft auch einen Sündenbock für Missstände, der als Unmuts-Adressat herhalten kann. Zudem versichern sich Verschwörungstheoretiker eines angeblich exklusiven Wissens - das steigert ihr Selbstwertgefühl.
KNA: Wie sollte man mit solchen Menschen umgehen?
Hartmann: Man sollte mit ihnen Kontakt halten und sich ihre Positionen erklären lassen, sie also ernst nehmen. Kampfbegriffe wie "Spinner" oder "sektiererisch" sind unangebracht. Um Thesen und Meinungen hinterfragen zu können, ist es natürlich nötig, selbst gut informiert zu sein und einen eigenen Standpunkt zu haben. Einen verfestigten Verschwörungstheoretiker aus seinem Überzeugungskonstrukt herauszuholen, ist allerdings schwierig bis unmöglich. Daher setzen wir verstärkt auf Präventionsarbeit, damit Menschen erst gar nicht in destruktive Gruppen hineingeraten und gegebenenfalls gefährlich werden.
KNA: Inwiefern gefährlich?
Hartmann: Beispiel Chemtrails: Manche Leute glauben, Kondensstreifen am Himmel seien Giftwolken, in denen Chemikalien steckten, um die Bevölkerung zu reduzieren oder die Menschen krank zu machen. Solche Personen haben schon versucht, Flugzeuge mit Laser-Attacken zum Absturz zu bringen.
KNA: Und wie sieht Ihr Vorbeugeprogramm aus?
Hartmann: Wir werden im Sommer Schulen besuchen, um Jugendliche für Verschwörungstheorien und "Fake News" zu sensibilisieren. Wir möchten ihnen zeigen, wie sie gefälschte Nachrichten und Verschwörungstheorien erkennen können. Dazu dienen Fragen wie: Ist eine Theorie in sich logisch und hält sie Nachfragen stand? Stützt sie sich nur auf die Meinung einer - vielleicht kleinen - Gruppe?
Widerspricht sie wissenschaftlichen Erkenntnissen? Was sagen Kritiker, und wie wird mit diesen umgegangen? Welche Quellen werden verwendet, und sind diese seriös?
KNA: Woher weiß ich denn, was seriöse Quellen sind?
Hartmann: Es ist vorteilhaft, einige zu kennen, zum Beispiel die Tagesschau oder die Bundeszentrale für politische Bildung. Aber auch Informationen, die von dort kommen, darf man ruhig hinterfragen, auch wenn sie einen Vertrauensvorschuss genießen. Das ist ja auch im Alltag so: Meiner Oma glaube ich doch auch eher als jemand Unbekanntem, der mich auf der Straße anspricht.
KNA: Warum eigentlich befassen Sie sich als kirchliche Stelle mit "Fake News" und Verschwörungstheorien? Weil wenigstens Letztere auch eine Art Ersatzreligion sind?
Hartmann: Ich würde eher sagen: ein Religionsersatz. Aber ja, in unserer säkularisierten Gesellschaft ist das anzunehmen. Und in der Tat: Anhänger von Verschwörungstheorien und fragwürdigen religiösen Gruppierungen haben Ähnlichkeiten. Sie suchen Halt und Sinn, schotten sich aufgrund von Exklusivitätsvorstellungen nach außen ab und sehen Kritik als Bestätigung dafür, dass ihre Umwelt unwissend oder gar dämonisch ist.
KNA: Gibt es aktuell solche fragwürdigen religiösen Gruppen oder Strömungen, die Ihnen Sorge bereiten?
Hartmann: Derzeit boomt der esoterische Lebenshilfe-Bereich. Das ist sicher ein Ausdruck unserer Zeit: Wir leben einerseits in einer Leistungsgesellschaft, andererseits haben Ärzte oft kaum mehr Zeit für ihre Patienten. Sogenannte Heiler wissen dies für sich zu nutzen.
Zulauf erfahren sie auch wegen des Problems der selektiven Information: Denn nur, wer meint, er habe Hilfe bekommen, erzählt später davon. Wer einen Reinfall erlebt und dafür teuer bezahlt hat, behält das lieber für sich. Auch bei vorgeblichen Wunderheilungen und sogenannten Lebensberatern ist kritisches Hinterfragen also dringend geraten.
Das Interview führte Christopher Beschnitt.