Als am Ende eines feierlichen Gottesdienstes auf der Orgel der Schlusschor aus der Matthäus-Passion von Bach ertönt, bietet sich – selbst für Kölner Verhältnisse, wo es liturgisch gemeinhin sehr festlich zugeht – ein eher seltenes Bild. Denn endlos lang ist die Prozession der ausziehenden Priester und Bischöfe. Zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr nämlich sind so viele Seelsorger aus dem gesamten Erzbistum um den Altar des Kölner Doms versammelt wie in der Chrisam-Messe am Montag der Karwoche. Dann stehen mehrere hundert Geistliche in den Bänken des südlichen und nördlichen Querhauses. Aber auch um den Altar schart sich an diesem Tag ein großer Kreis von Konzelebranten in festlich weißen Gewändern: das Domkapitel sowie die Stadt- und Kreisdechanten.
Erzbischof Kardinal Woelki spricht dann auch von der "Missa chrismatis" als einem der in der Karwoche "wichtigsten und berührendsten Gottesdienste", in dem die für das Bistum so wichtigen heiligen Öle geweiht werden, "weil sie das Leben schenken", wie er sagt. "Wir sind eine Kirche, die augenscheinlich älter wird, die in der Gefahr steht, aufgrund ihres Alters zu sterben. Wir sind aber auch eine Kirche, die das Leben hat und Leben verkündet, weil Christus Herr der Kirche ist: durch sein Wort, die Sakramente und durch uns." Und der Erzbischof stellt der Messfeier die Bitte um die Gnade einer Kirche im Wachstum mit geistlichen Berufungen von Priestern, Diakonen, Pastoral- und Gemeindereferenten voran.
Gedenken an Priesterweihe
Denn in dieser Chrisam-Messe gedenken die anwesenden Priester in besonderer Weise ihrer Priesterweihe und erklären neu ihre Bereitschaft, weiterhin treu ihren Dienst als Priester zu tun. Es ist ihr Tag – der sogenannte Oasentag: Gelegenheit zum Kraft Schöpfen und zur Selbstvergewisserung des eigenen Glaubens.
Dem entspricht, dass nach kirchlicher Überzeugung Christus im Rahmen der Abendmahlsfeier am Gründonnerstag die Kirche gestiftet und die Eucharistie und damit das Priestertum eingesetzt hat. Die heiligen Öle werden nach der Feier an die Stadt- und Kreisdechanten übergeben, die sie dann in die Gemeinden bringen. In der Messe vom Letzten Abendmahl werden sie dort am Gründonnerstag ebenfalls feierlich in Empfang genommen.
"Hinausgehen in die Welt"
Die Priester und Diakone sind es auch, die Kardinal Woelki immer wieder sehr persönlich in seiner Predigt anspricht und bittet, Menschen in die Nachfolge und Jüngerschaft Jesu zu rufen. "Ostern führt uns an den Beginn der Kirche und zeigt uns, was die Kirche ist: eine österliche Gemeinschaft, deren Mitte der Auferstandene ist", erklärt er dazu. "Seiner Jüngergemeinde schenkt er seine Gaben, seinen Frieden, seine Freude, seine Liebe, seinen Geist – sich selbst. Und die Jünger haben Anteil an seiner Sendung." Darum müssten sie hinausgehen in die Welt, zu allen Völkern, zu allen Menschen – "auch in die Seelsorgebereiche, Sendungsräume und Pfarreien unseres Bistums".
"Geht, macht, tauft, lehrt" – diese vier entscheidenden Verben am Ende des Matthäus-Evangeliums seien das Pastoralprogramm in der Nachfolge Jesu, "aus dem alles andere hervorwachse". Denn das sei die Sendung der Kirche, unterstreicht Woelki, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen. Das sei der Auftrag aller zur Mission, zu einer neuen Evangelisierung. Doch dieser Auftrag komme nicht von irgendwo her, sondern direkt und unmittelbar aus dem Mund des Auferstandenen und beziehe sich nicht nur auf Afrika und Asien, sondern sehr konkret auch auf Europa und auf Köln, macht Woelki unmissverständlich klar.
"Wir müssen Christus erst kennenlernen"
"Aber trauen wir uns überhaupt noch zu, nach einer langen durchfischten Nacht, die vielleicht von wenig Erfolg gekrönt war, auf den See hinauszufahren, um die Netze erneut auszuwerfen – auf sein Wort hin?", fragt der Bischof provokativ in die Runde seiner Zuhörer. Jüngerschaft Jesu bedeute, sich in einen lebenslangen geistlichen Wachstumsprozess einzulassen, gibt er zu bedenken.
"Es kommt darauf an, dass der, der verkündet, selbst zur frohen Botschaft wird, selbst zur Verkörperung des Reiches Gottes." Wer zum Glauben kommen wolle, müsse Christus erst kennenlernen, um ihn zu lieben. "Darum geht das Ganze nämlich", betont Woelki mit Nachdruck. "Nur wenn wir Christus kennen, werden unsere Herzen singen, nur dann wird er zur Melodie unseres Lebens. Nur dann wollen wir ihm nachfolgen. Nur dann fangen wir an, uns nach seiner Botschaft zu sehnen. Erst dann versuchen wir, so zu leben, wie er gelebt hat."
Orte des Glaubens schaffen
Was eine wachsende Kirche brauche, seien Orte geteilten Glaubens; Erfahrungsräume des Christlichen, wo man lerne, Gott zu suchen und zu finden. Auch wenn es solche Räume mancherorts schon gebe, müssten sie gestärkt oder unter Umständen neu eingerichtet werden. "Das könnte ein Weg sein, das Wachstum in unseren Gemeinden zu fördern", sagt der Erzbischof.
Wörtlich appelliert er an die Mitbrüder im geistlichen Dienst: "Geben Sie dieser Bereitschaft noch mehr als bisher Ihr Gesicht, Ihre Stimme und Ihre offenen Arme! Initiieren Sie in Ihren Seelsorgebereichen Orte und Zeiten, wo Sie im Hören auf das Evangelium über Ihren Glauben sprechen! Unterstützen Sie von Herzen solche ausdrücklichen Glaubensräume für die nächsten Schritte eines gemeinsamen Weges des Kirche-Seins vor Ort! Schaffen Sie Möglichkeiten zum Auftanken für die beständig Aktiven, damit sie nicht ausbrennen, sondern weiterhin brennen können für Christus. Entscheiden Sie, was Sie an Zeit, Räumen und finanziellen Mitteln imstande sind einzusetzen!
Eucharistie muss erfahrbar sein
Und noch eines gibt Woelki den vielen Priestern seines Bistums mit auf den Weg: "Bemühen Sie sich mehr noch als sonst, die sonntägliche Eucharistie so zu feiern, dass in ihr erfahrbar wird, was Christ-Sein und Kirche-Sein bedeuten: die Freude, zum Volk Gottes zu gehören; die Freude, von Gott geliebt und erlöst zu sein; die Freude, als Jünger Jesu das Leben mit anderen zu teilen und sich gemeinsam für ein Leben in Fülle für alle Menschen einzusetzen." Denn wo diese Freude spürbar werde, nur dort würden viele wieder ihren Platz in der Kirche finden wollen.
"Und dann werden sie uns mit ihren Gaben bereichern", zeigt sich der Erzbischof überzeugt. Schließlich entlässt er alle – auch die Gläubigen, die dieses besondere Pontifikalamt mit den vielen Priestern aus allen Teilen des Bistums mitgefeiert haben – mit der Bitte: "Tragen Sie Sorge dafür, dass wir in unserem Bistum geschwisterlich miteinander umgehen, unseren Dienst an der Welt erfüllen, damit unser Glaube zu einer neuen Lebendigkeit gelangt, an der wir alle unsere Freude haben."