Der neue Bundeswehr-Traditionserlass ist in Kraft getreten

Klare Sprache zur NS-Zeit

Kritiker mögen einwenden, dass die Bundeswehr derzeit andere Probleme hat, als sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Trotzdem hat der Auftritt von Ministerin von der Leyen an diesem Mittwoch in Hannover Beachtung gefunden.

Autor/in:
Joachim Heinz
Bundeswehrsoldaten / © Patrick Pleul (dpa)
Bundeswehrsoldaten / © Patrick Pleul ( dpa )

Ursula von der Leyen in Hannover. Das klingt eher unspektakulär. Und doch wird nach dem Besuch der Bundesverteidigungsministerin in der "Emmich-Cambrai-Kaserne" einiges anders sein als vorher.

Seit Mittwoch hat die Einrichtung, die zu einer der modernsten militärischen Ausbildungsstätten in Europa gehört, den Namen von Tobias Lagenstein. Der Hauptfeldwebel wurde 2011 bei einem Sprengstoffanschlag in Afghanistan getötet. Im Rahmen der Umbenennung hat die CDU-Politikerin zugleich den neuen Traditionserlass für die Bundeswehr unterzeichnet.

Notwendige Neufassung

Ausdrücklich betont die damit in Kraft tretende Dienstvorschrift, dass ein zentraler Bezugspunkt beim Traditionsverständnis und der Traditionspflege der Truppe die eigene nunmehr über 60 Jahre währende Geschichte sein soll. Die Umbenennung der Kaserne ist sozusagen ein erster Vollzug. Von der Leyen nannte den neuen Erlass überfällig. "Der alte Traditionserlass wusste noch nichts von der Armee der Einheit und von der Armee im Einsatz. Er wusste noch nichts vom Kampf gegen heutige Terrormilizen, die mit brutaler Gewalt Schreckensherrschaften errichten, von hybriden Bedrohungen, von Auseinandersetzungen im Cyber- und Informationsraum."

Den Anstoß dazu gab allerdings der befremdliche Umgang einiger Vertreter der Bundeswehr mit Relikten aus der NS-Zeit. Stahlhelme vor einer Kantine, Hakenkreuz-Kritzeleien und Landser-Souvenirs an Kasernenwänden sowie Entgleisungen bei der Ausbildung von Rekruten beherrschten immer wieder die Schlagzeilen. Der Eindruck drängte sich auf, dass es bei manchen "Staatsbürgern in Uniform" an staatsbürgerlicher Haltung und an politischer Reife mangele.

Klare Sprache zur NS-Zeit

Der neue Traditionserlass spricht mit Blick auf die NS-Zeit eine klare Sprache. "Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig." Wohl aber sei die Aufnahme "einzelner Angehöriger" in das Traditionsgut der Bundeswehr grundsätzlich möglich.

Die Frage, auf wen sich das beziehen kann, beantwortete der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck unlängst in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit dem Hinweis auf die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944, jene Männer also, "die aufgrund ihres Gewissens klare Entscheidungen getroffen und sich am Widerstand gegen das NS-Gewaltregime beteiligt haben".

Gerungen wurde hinter den Kulissen um den Passus zur Armee der DDR. Dazu heißt es: "Die NVA begründet als Institution und mit ihren Verbänden und Dienststellen keine Tradition der Bundeswehr." In seinem Blog "Augen geradeaus!" schreibt Thomas Wiegold über diese Formulierung: Erkennbar sei das Bemühen, "frühere DDR-Soldaten nicht von vornherein auszugrenzen".

Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte von der Leyen, auch hier müsse jeder Einzelfall abgewogen werden. So habe es etwa beim Fall der Mauer auch in den Reihen der NVA "hochanständige Persönlichkeiten" gegeben, die durch beherztes Eingreifen Gewalt gegen friedliche Demonstranten verhindert hätten.

Schwieriges Terrain

Es gebe kaum ein "schwierigeres Terrain" als das der deutschen Militärgeschichte, hielt der Berliner Politologe Herfried Münkler im Februar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" fest. Der "Kompass", Zeitschrift der katholischen Militärseelsorge, betonte zugleich, es müsse unter den Soldaten ein Bewusstsein für die Vergangenheit geben - und auch für die ihr innewohnenden Brüche. Das sei gerade mit Blick auf den Wandel der Bundeswehr und die Ausweitung internationaler Einsätze unverzichtbar.

Am Ende seien zwei Aspekte "für die Güte der Traditionspflege in der Bundeswehr entscheidend", schreibt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) in seinem jüngsten Jahresbericht. "Erstens: Für die eigene Tradition der Bundeswehr nicht nur die Köpfe, sondern insbesondere die Herzen der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten zu erreichen." Und Zweitens: "Ein kluger und unverfänglicher Umgang mit ausgewählten Aspekten des militärischen Erbes vergangener Zeiten und eine unmissverständliche Grenzlinie zum braunen Erbe."

Die Zukunft wird zeigen, ob der Erlass dabei hilfreich ist. Dort steht, dass Traditionsstiftung und Traditionspflege ein "dynamisches und niemals abgeschlossenes Handeln" seien. Ein Schlussstrich ist die Unterschrift von der Leyens also auf keinen Fall.

 

Ursula von der Leyen / © Michael Kappeler (dpa)
Ursula von der Leyen / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA