Kardinal Woelki über Ukrainebesuch und Bischofsbrief

Kirchenengagement und eine pastorale Frage

Rainer Maria Kardinal Woelki befindet sich auf pastoraler Dienstreise in der Ukraine, um sich ein Bild von der Arbeit der Kirche zu machen. Im Interview spricht er über das dortige Engagement und den Bischofsbrief.

Rainer Maria Kardinal Woelki in der Kathedrale von Uschhorod / © Sonja Preiss (Erzbistum Köln)
Rainer Maria Kardinal Woelki in der Kathedrale von Uschhorod / © Sonja Preiss ( Erzbistum Köln )

DOMRADIO.DE: Unser Ostersonntag war am letzten Sonntag, die ruthenische Ortskirche folgt dem byzantinischen julianischen Kalender und deshalb feiern die Christen in der Ukraine erst jetzt an diesem Sonntag das Osterfest. Wie erleben Sie persönlich diese Zeitverschiebung mit den beiden Osterterminen?

Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Das ist natürlich ein eigenartiges Gefühl, Ostern noch einmal vor uns zu haben, nachdem wir es als Lateiner bereits gefeiert haben. In diesen Tagen feiern wir die Karwoche noch einmal neu - gestern in einer beeindruckenden Liturgie den Gründonnerstag mit der Fußwaschung. Und jetzt gleich werden wir im byzantinischen Ritus die Chrysostomos-Liturgie feiern und dabei des Leiden und Sterbens Jesu gedenken. Wir werden gewissermaßen anachronistisch, also zeitversetzt, mit dem entscheidenen Fest des Glaubens konfrontiert.

DOMRADIO.DE: Es gibt in der Ukraine ganz unterschiedliche kirchliche Ausrichtungen. Einige orthodoxe Kirchen orientieren sich Richtung Russland und Moskau, andere favorisieren eine stärkere Unabhängigkeit. In diesem nach Frieden suchenden Land - leben da wenigstens die Kirchen friedlich miteinander?

Kardinal Woelki: Ich glaube, das kann man schon sagen. Natürlich, es gibt hier Orthodoxe Kirche mit Moskauer Patriarchat, eine Orthodoxe Kirche mit Kiewer Patriarchat, eine Griechisch-katholische Kirche, eine Römisch-katholische Kirche, es git hier Methodisten und Calvinisten. Man versucht, miteinander auszukommen. Es ist sicherlich so, dass es aus der Vergangenheit heraus die ein- oder andere Schwierigkeit gibt – etwa mit Blick auf die Nutzung von Kirchengebäuden, die der griechisch-katholischen Kirche nicht wieder zurückgegeben worden sind und wo der Staat festgelegt hat, dass sowohl die orthodoxe Gemeinde wie auch die griechisch-katholische Gemeinde dieselbe Kirche nutzen sollten.

Das hat man hier, glaube ich, inzwischen ganz gut aufgefangen. Insbesondere der griechisch-katholische Bischof, bei dem ich hier zu Gast bin, versucht durch den Neubau von Kirchen und Pastoralzentren den möglichen Streitereien aus dem Weg zu gehen. Das gemeinsame Auftreten ist durch die etwas schwierige politische Situation gegenwärtig wieder aus dem Blick geraten. Man hatte das ursprünglich versucht, aber durch den Krieg, der sich vor allem in der Ostukraine abspielt, sind gemeinsame Auftritte in politischen Fragen der Kirchen wohl wieder etwas schwieriger geworden.

DOMRADIO.DE: Wenn bei uns über die Ukraine berichtet wird, dann geht es oft nur um den Dauerkonflikt mit Russland. Wie erleben Sie dieses Land, das ja an der Schnittstelle zwischen Ost und West liegt? Können Sie uns etwas zur sozialen Situation der Menschen vor Ort sagen?

Kardinal Woelki: Dieser Krieg ist hier schon überall präsent. Die Menschen sagen, dass sie sich das nicht vor 2013, 2014 hätten vorstellen können, jemals mit Russland in einem Krieg zu sein. Es gibt hier eine Vielzahl von Binnenflüchtlingen, die in Transkarpatien angekommen sind, wo die Kirche versucht, sie zu versorgen. Und man begegnet immer wieder Menschen, die ihre Kinder, ihre Ehemänner im Krieg verloren haben.

Erst heute Morgen habe ich eine Frau getroffen, deren Sohn sein Leben als Soldat in der Ostukraine verloren hat. Es ist hier friedlich - man bekommt von dem Krieg an sich nichts mit - aber man sieht natürlich immer wieder Soldaten, und die Menschen sprechen darüber und beklagen den Verlust ihrer Söhne und Ehemänner, die gefallen sind. Und sie beklagen die sozialen Herausforderungen, die die Betreuung und Begleitung der Binnenflüchtlinge mit sich bringen. 

DOMRADIO.DE: Sie besuchen in der Ukraine auch Projekte, die durch das Erzbistums Köln finanzielle Unterstützung erhalten. Sie konnten sich ein großes Jugendlager ansehen. Wie haben Sie die Jugendarbeit vor Ort erlebt?

Kardinal Woelki: Man muss vielleicht vorausschicken, dass die soziale Situation hier insgesamt sehr schwierig ist - nicht nur durch den Krieg. Die Menschen sind generell enttäuscht über die politischen Verhältnisse und die Versprechungen, die die verschiedenen Regierungen gemacht haben. Es fehlt ein großes Konzept und jede Regierung versucht irgendwie neu, eine Politik auf Kosten der Vorgängerregierung durchzusetzen, wobei man immer wieder sagt, da sei es falsch gelaufen. Insofern sind die Menschen hier oft eigentlich ohne Perspektive. Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit und es gibt eine Korruption, die für uns im Westen unvorstellbar ist. Das macht natürlich die Perspektive für junge Menschen schwierig, die sagen, dass sie in der Ukraine keine Chance haben und keine Chance sehen.

So arbeiten gegenwärtig zwei Millionen Ukrainer schon in Polen. Als wir hier auf dem Weg zum Jugendzentrum waren, sind wir an der polnischen Botschaft vorbeigekommen, vor der sich Menschentrauben angesammelt hatten. Alle warteten darauf, in die Botschaft hereinzukommen, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen.

Insofern geht die römisch-katholische Kirche besonders auf die jungen Menschen zu. Sie versucht, die jungen Leute zu erreichen und ihnen über Freizeitangebote eine Alternative zu bieten, um aus dieser Trostlosigkeit herauszukommen. Sie versucht natürlich auch, über katechetische Programme eine religiöse Bildung bei den Jugendlichen zu implementieren, weil es keinen Religionsunterricht in den Schulen gibt.

Die Franziskaner und Kapuziner, die hier in Uschhorod ihre Niederlassungen haben, setzen sich besonders in der Jugendarbeit ein, weil viele Jugendliche auch aus Familien kommen, in denen die Eltern aufgrund der Arbeitslosigkeit und der Perspektivlosigkeit Probleme mit Alkohol und ähnlichen Dingen haben und die Jugendlichen einfach froh sind, wenn sie nicht nach Hause gehen müssen, sondern zum Beispiel einen solchen Ort in der Kirche finden.

DOMRADIO:DE: Auch wenn Sie jetzt in der Ukraine sind, haben Sie etwas von dem Medienrummel, den der Dissens der deutschen Bischöfe ausgelöst hat, mitbekommen?

Kardinal Woelki: Ich bin ein bisschen erstaunt darüber, dass das einen solchen Rummel ausgelöst hat und dass da von Dissens und ähnlichen Dingen geschrieben wird. Ich habe auf dem Weg in die Ukraine bei der Zwischenlandung in Wien davon erfahren. Ich kann einfach nur sagen, das Ganze sollte man mal ein bisschen herunterhängen.

Wir haben in der Bischofskonferenz über eine wichtige Frage gesprochen, nämlich über die Seelsorge von konfessionsverschiedenen Ehepaaren. Wir haben darüber diskutiert und waren unterschiedlicher Meinung, ob wir Lösungen finden können, die pastoral wichtig sind und die wir als deutsche Teilkirche treffen können oder ob es nicht wichtig ist und richtig wäre, eine solche Lösung mit Blick auf die Gesamtheit der Universalkirche anzugehen.

Der Protestantismus ist kein Phänomen, das sich nur auf Deutschland und die deutschsprachige Kirche beschränkt, sondern es ist ein weltweites Phänomen. Wir waren mit einigen Bischöfen der Überzeugung, dass es gut wäre, die hier bei uns diskutierte und gefundene Lösung auch universalkirchlich mit Blick auf die Einheit der Kirche und auf die Gemeinsamkeit mit den anderen Teilkirchen abzustimmen.

Ich bin gespannt, wie die Antwort diesbezüglich aussehen wird. Wir können doch in Deutschland ganz ruhig sein, wenn wir der Überzeugung sind, dass das, was die deutschen Bischöfe da erarbeitet und vorgeschlagen haben, so gut ist, dass es auch universalkirchlich Bestand haben kann. Dann könnte das ein Beitrag sein, dass von dem, was hier bei uns in Deutschland diesbezüglich angedacht ist, auch andere Christen aus anderen protestantischen Kirchen und anderen Teilkirchen profitieren könnten.

Ich denke, es ist gut, solche wichtigen Fragen mit Blick auf die Einheit in der Kirche zu diskutieren und abzustimmen. Um nichts anderes geht es bei dieser Fragestellung. Ein bisschen mehr Ruhe und Gelassenheit wären also angebracht. Es erstaunt mich schon, was da so alles geschrieben, gemutmaßt und unterstellt wird. Das ist für mich wirklich nicht nachzuvollziehen.

DOMRADIO.DE: Gibt es einen Zeitraum, in dem Sie mit einer Antwort aus Rom rechnen?

Kardinal Woelki: Nein. Es ist nicht nur meine Angelegenheit. Wir sind ja sieben Bischöfe gewesen, die gesagt haben, dass diese Frage für uns so wichtig ist, dass wir denken, es sei notwendig, dies miteinander mit der Weltkirche abzustimmen. Wir werden sehen, wann eine Antwort kommt und ob überhaupt eine Antwort kommt. Ich weiß es nicht.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Kardinal Woelki bedankt sich herzlich / © Sonja Preiss (Erzbistum Köln)
Kardinal Woelki bedankt sich herzlich / © Sonja Preiss ( Erzbistum Köln )
Quelle:
DR