DOMRADIO.DE: Das Motto der Weltgesundheitsorganisation ist "Gesundheit für alle". Das hört sich sehr schön an, aber davon sind wir weit entfernt, oder?
Mareike Haase (Referentin für Internationale Gesundheitspolitik bei Brot für die Welt): Ja, das sind wir leider immer noch. Dieses Motto hat die Weltgesundheitsorganisation schon zu ihrer Gründung festgelegt. Aber wir sehen, dass Millionen von Menschen immer noch keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Wir sehen auch, dass eine Million Menschen verarmen, weil sie nicth über die finanziellen Mittel verfügen, die Kosten für die Gesundheitsversorgung zu bezahlen.
Dass jemand Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu gesunden Lebensbedingungen hat, hängt leider immer sehr stark davon ab, ob jemand wohlhabend ist, in welchem Teil der Welt er lebt, zu welchem Geschlecht oder zu welcher Ethnie jemand gehört. Wir sind leider weit entfernt von der Gesundheit für alle.
DOMRADIO.DE: Trotzdem ist es eine Absichtserklärung und ein Wunsch der WHO. Gibt es denn einen realistischen Weg, der eine "flächendeckende Gesundheitsversorgung" gewährleisten könnte?
Haase: Es gibt viele verschiedene Ansätze. Ein Ansatz, den die Weltgesundheitsorganisation sehr stark verfolgt ist die Basisgrundversorgung: Die Gesundheit muss zu den Menschen kommen. Man muss gerade in entlegenen ländlichen Gebieten eine Gesundheitsversorgung verfügbar zu machen. Dort gibt es oft einen großen Mangel an Gesundheitseinrichtungen und Personal. Man muss es auf der anderen Seite schaffen, flächendeckend soziale Sicherungssysteme einzurichten.
80 Prozent der Weltbevölkerung hat gar keinen Zugang zu einer Krankenversicherung oder Absicherung im Falle von Krankheit oder Arbeitsausfall. Es gibt verschiedene Ansätze auf verschiedenen Wegen, die gelingen müssen. Das hat natürlich auch viel mit Finanzen zu tun. Damit, dass ausreichende Mittel in den betroffenen Ländern vorhanden sein müssen.
DOMRADIO.DE: Wir haben noch gar nicht unterschieden zwischen reichen und armen Ländern. Europa und Afrika hat ja nicht die gleichen Probleme...
Haase: Nein, es gibt natürlich unterschiedliche Probleme. Es gibt in den reichen Ländern ein weit besser ausgestattes Gesundheitssystem auf allen Ebenen. Und natürlich sind die Gesundheitsbedürfnisse auch anders. In ärmeren Ländern gibt es sogenannte Armutskrankheiten, aber keine Medikamente, um diese Krankheiten zu behandlen. Allein die Ausstattung zwischen reichen und armen Ländern ist unterschiedlich, aber auch die Krankheitslast.
DOMRADIO.DE: Die WHO wird von privaten Gebern unterstützt. Ist das gut oder schlecht für die soziale Gerechtigkeit in der Gesundheitsvorsorge?
Haase: Na ja, wir sehen das sehr kritisch. Das Problem ist, dass die WHO mittlerweile aus privaten Taschen von Wirtschaftsunternehmen und von philantropischen Stiftungen finanziert wird, die damit alle ihre eigenen Interessen verbinden. Diese Gelder können alle nicht frei eingesetzt werden. Zum Beispiel für die Gesundheitsversorgung in armeren Länder, für den Aufbau von Gesundheitssystemen, für die Verbesserung von Lebensbedingungen.
Stattdessen bestimmen die Geldgeber ganz klar, wofür die Gelder eingesetzt werden. Das entspricht nicht immer den Prioritäten der WHO. Das macht sie abhängig. Die WHO kann überhaupt nicht frei handeln. Das sehen wir als sehr problematisch an.
DOMRADIO.DE: Da hört man einen deutlichen Appell an öffentliche Geldgeber, sich mehr zu engagieren für die Weltgesundheitsorganisation?
Haase: Unbedingt. Die WHO ist eine Organisation, die von Mitgliedsstaaten, also von Regierungen, gegründet wurde - und jetzt nur noch zu 20 Prozent von diesen finanziert wird.
Insofern geht ein ganz klarer Appell an Regierungen, die Beiträge an die WHO zu erhöhen, damit diese überhaupt wieder in der Lage ist, unabhängig zu handeln und sie im Interesse des Gemeinwohls "Gesundheit für alle" ermöglicht.
Das Interview führte Martin Mölder.