"Selig sind": Wenn der Chor nach der gedeckten Einleitung der Streicher ganz leise diese ersten Worte des Brahms-Requiems haucht, sorgt das bei manchem Zuhörer für Gänsehaut. Die sanft ineinanderfließenden Akkorde dieses Stücks, gepaart mit Texten voller Trauer und Zuversicht haben schon viele Musikliebhaber zu Tränen gerührt. Am 10. April 1868 - vor genau 150 Jahren - wurde "Ein Deutsches Requiem" von Johannes Brahms (1833-1897) im Dom zu Bremen uraufgeführt. Heute gehört das Stück für Chor, Solisten und Orchester zu den meistaufgeführten Werken der deutschen Romantik.
Schon zu Lebzeiten Brahms` sorgte das Requiem für große Begeisterung und sollte dem damals erst 35-jährigen Komponisten zum Durchbruch verhelfen. Das langjährige Leiden und der Tod seines Freundes Robert Schumann im Jahr 1856 wie auch der Tod seiner Mutter 1865 hatten den jungen Komponisten wohl dazu bewegt, sich mit dem Tod und dessen biblischer Interpretation auseinanderzusetzen.
Bruch mit Konventionen
Mit der Komposition, die über mehrere Jahre reifte, brach er mit so mancher Konvention. Streng genommen ist sein Requiem gar kein Requiem, da es anders als die gleichnamigen Werke vom Mozart, Bruckner oder Verdi nicht auf Texten der katholischen Liturgie basiert. Der aus dem protestantischen Hamburg stammende Brahms vertonte stattdessen Bibelverse rund um das Thema Tod und Auferstehung, etwa aus den Evangelien, der Offenbarung des Johannes, aber auch aus den alttestamentlichen Psalmen und Prophetenbüchern.
Brahms betonte immer wieder, dass er sich als Musiker mit diesen Texten auseinandergesetzt habe, dennoch lässt sich die Religiosität des Künstlers nicht leugnen. Ungewöhnlich war auch, dass er sein Requiem nicht als Trauermusik, sondern als Trost für die Lebenden komponierte, was in Versen wie "Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten" oder "Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" zum Ausdruck kommt.
Clara Schumann war begeistert
Die ersten drei Sätze - mehr wollte man dem Publikum "nicht zumuten" - wurden bereits Anfang Dezember 1867 in Wien uraufgeführt. Entgegen aller Befürchtungen gab es lang anhaltenden Beifall nach dem Konzert.
Die erstmals komplette Aufführung des damals noch sechssätzigen Werks in Bremen, sicherte Brahms die Anerkennung der damaligen europäischen Musikwelt. Brahms dirigierte an jenem Karfreitag selbst. Im Publikum saßen unter anderem sein Vater sowie die Witwe Robert Schumanns, Clara. "Mich hat dieses Requiem ergriffen wie noch nie eine Kirchenmusik", sagte sie im Anschluss zu Brahms.
Nach der Veröffentlichung begann die große Schaffensphase
Bei diesem Konzert fehlte noch der fünfte von heute sieben Sätzen, den Brahms erst danach einfügte. Das vollständige Werk, wie wir es heute kennen, kam dann am 18. Februar 1869 im Leipziger Gewandhaus zur Uraufführung. Durch die Einfügung ergibt sich eine symmetrische Struktur um den vierten Satz, der die "lieblichen Wohnungen des Herrn" beschreibt.
Für Brahms, der mittlerweile in Wien heimisch geworden war, begann nach der Veröffentlichung seines Requiems die kreativste Schaffensphase. In der ehemaligen Hauptstadt der Klassik komponierte der Romantiker seine großen Orchesterwerke. Als er am 3. April 1897 kurz vor seinem 64. Geburtstag an einem Krebsleiden starb, fanden bald darauf in aller Welt Gedenkfeiern statt. Häufig erklang dabei das "Deutsche Requiem".
Wechsel zwischen gedämpft und imposant
Zu Beerdigungen wird das gut einstündige Werk heute eher selten gespielt, dafür kommt es umso häufiger bei Konzerten zur Aufführung. Am 10. April erklingt es übrigens erneut im Bremer Dom: Die Deutsche Kammerphilharmonie erinnert an die Uraufführung vor 150 Jahren, es singen der Lettische Staatschor sowie Sopranistin Valentina Farcas und Bariton Matthias Goerne. Da wo einst Johannes Brahms persönlich stand, dirigiert Chefdirigent Paavo Järvi.
Der Wechsel zwischen den traurig-gedämpften ("Denn alles Fleisch, es ist wie Gras") und den laut-imposanten Momenten ("Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit") des Stücks ist für Musiker und Sänger bis heute eine Herausforderung. Es gilt die Spannung zu halten bis zum letzten Takt, wenn der Chor untermalt von den Klängen der Harfe erneut ein leises "selig" haucht.