Können Konzerte mit Psalmen, Punk-Rock und Posaunen gegen Neonazis helfen? Die Bürger im ostsächsischen Ostritz versuchen es auf die vielfältige Weise. Am Freitagabend eröffneten sie ein dreitägiges "Friedensfest" auf dem Marktplatz der 2.400-Einwohner-Stadt, während sich wenige hundert Meter entfernt rund 1.000 Rechtsextremisten aus Deutschland und Nachbarstaaten versammelten. Dazwischen hunderte Polizisten, die bis Sonntag für Ordnung sorgen sollen.
Polizei beschlagnahmt verfassungsfeindliche Insignien
Die Nacht zum Samstag verlief nach Angaben der sächsichen Polizei ohne größere Störungen. Am Samstag musste die Polizei jedoch gegen Rechtsverstöße vorgehen. So wurden unter anderem T-Shirts und Plakate mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen beschlagnahmt und Ermittlungsverfahren gegen die Träger eingeleitet. Zuvor waren bei der Versammlung Rechtsextremer unter anderem Ordner mit T-Shirts festgestellt worden, die die Aufschrift "Sicherheitsdienst Arische Bruderschaft" und zwei gekreuzte Stabhandgranaten zeigten. Nach Polizeiangaben hatten sich bis zum Samstagnachmittag 745 Rechtsextreme zu dem Musikfestival und den Sportwettkämpfen im äußersten Osten Sachsens eingefunden.
Die Versammlungsbehörde des Landkreises Görlitz verhängte zwischenzeitlich ein komplettes Alkoholverbot für die Veranstaltung. Die Auflage gelte bis Sonntagmittag auf dem gesamten Gelände des rechten Festivals "Schild und Schwert" sowie für das Areal rund um das Hotel "Neißeblick", teilte die Polizeidirektion Görlitz mit. Auch die Tattoo-Convention sowie die Kampfsportvorführungen seien eingeschlossen. Der Anmelder des Neonazi-Festivals habe "damit sicherzustellen, dass keine alkoholischen Getränke auf dem Festivalgelände ausgeschenkt und konsumiert werden". Bereits vorhandener Alkohol wurde den Angaben zufolge im Beisein der Görlitzer Polizei in einem Raum eingeschlossen.
"Was Sachsen wirklich ausmacht"
Nicht nur die Heerscharen von Beamten zeigen, dass es sich um mehr handelt als ein lokales Ereignis. Seit Jahren gilt vor allem Sachsen als Brutstätte des Rechtsextremismus. Das bislang größte Neonazi-Treffen dieses Jahres droht, diesen zweifelhaften Ruf zu bestärken. Aus dem Ausland sind zahlreiche Medienvertreter vor Ort.
So nimmt es nicht wunder, dass der Ministerpräsident des Freistaates, Michael Kretschmer (CDU), die Schirmherrschaft des Bürgerfestes übernahm und es selbst eröffnete. Wurde seinem zurückgetretenen Amtsvorgänger Stanislaw Tillich (CDU) doch vor allem vorgeworfen, den Rechtsextremismus zu lange unterschätzt zu haben.
Beim Auftakt zollte der junge Landesvater dem außergewöhnlichen bürgerschaftlichen Engagement in der abgelegenen Grenzstadt zu Polen großes Lob. Dessen Vereine und Kirchen zeigten, dass der Kampf gegen Extremismus dann erfolgreich sei, wenn er aus der Mitte der Gesellschaft komme und nicht von oben verordnet sei. Ostritz gebe den Rechtsextremisten das unmissverständliche Signal: "Wir wollen Euch hier nicht." Und überdies eine Botschaft in die ganze Welt, "was Sachsen wirklich ausmacht".
Demokratisches Fest statt Hitler-Geburtstag
Die Initiative zu dem Fest kam von Michael Schlitt. Bei dem Stiftungsvorsitzenden des Internationalen Begegnungszentrums, einer beim benachbarten Zisterzienserinnenklosters Sankt Marienthal angesiedelten Bildungsstätte, läuteten die Alarmglocken, als er von dem Neonazi-Festival hörte. Flugs ließ er den Marktplatz eine Gegenveranstaltung reservieren. Nun feiern die Demokraten aus Ostritz und ihre Gäste mit viel Musik und guter Laune in die laue Frühlingsnacht. Statt eines Fackelzugs zum 129. Hitler-Geburtstag gab es eine Menschenkette um den Marktplatz.
Die Rechtsextremisten haben sich derweil auf dem Areal eines heruntergekommenen Hotels zu martialischer Musik versammelt, der Eingang abriegelt mit fremdenfeindlichen NPD-Wahlplakaten. Zu ihnen schallt Musik einer der beiden linksgerichteten Protestveranstaltungen, die ebenfalls anlaufen.
Versuche, sie ins Friedensfest einzubeziehen, schlugen fehl. Schlitt weist ihren Vorwurf zurück, das Bürgerfest sei unpolitisch. "Es ist nicht parteipolitisch, aber durchaus politisch", betont der Politikwissenschaftler und Theologe.
"Eine ganz andere Dimension"
Auch von Ostritzer Bürgern kommt Kritik. Bürgermeisterin Marion Prange (parteilos) räumt ein, dass einige ihr geraten hatten, das Neonazi-Festival zu ignorieren, damit es weniger Aufsehen erhält. Kleinere Treffen von Rechtsextremisten hatte es in der Stadt bereits gegeben. "Das hat jetzt aber eine ganz andere Dimension", hält die Bürgermeisterin dagegen.
Sie hat aber Verständnis dafür, dass Anwohner an die G-20-Demonstrationen in Hamburg denken und Angst vor Ausschreitungen haben. Ungewöhnlich viele Rolläden sind schon tagsüber heruntergelassen, vielleicht nicht nur wegen der ungewöhnlich heißen Frühlingstemperaturen.
Gregor Krumpholz