DOMRADIO.DE: Was hat sich denn seit Einführung des Mindestlohns verändert oder war der aus ihrer Sicht schon von Anfang an zu niedrig?
Maria Etl (Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung KAB): Der Mindestlohn war und ist nicht wirklich existenzsichernd, weil alleinstehende Menschen in großen Städten nicht wirklich gut davon leben können. Das muss dann mit dem Hartz IV-Bezug aufgestockt werden.
Zum Beispiel in München würde man 12,77 Euro brauchen, um existenzsichernd leben zu können, in Köln 11,20 Euro, in den untersuchten 15 Städten wären es im Durchschnitt 9,50 Euro, um gerade ausreichend damit leben zu können.
DOMRADIO.DE: Was ist dann Ihre Forderung?
Etl: Wir von der KAB fordern einen armutsfesten Mindestlohn von 13,44 EUR. Wir haben das durchgerechnet und sind zu dem Schluss gekommen, dass man das mindestens braucht, um wirklich gut leben zu können.
DOMRADIO.DE: Da geht es um die Großstädte oder auch um die dörflichen/ländlichen Bereiche?
Etl: In den dörflich/ländlichen Bereichen ist die Sache sicher anders, aber auch diese Menschen brauchen 13,44 Euro, um gut leben zu können.
DOMRADIO.DE: Telearbeit ermöglicht es vielen Arbeitnehmern nicht oder seltener ins Büro fahren zu müssen. Dafür soll der Arbeitnehmer am besten immer und überall sofort erreichbar sein. Ist das ein guter Deal?
Etl: Nein, überhaupt nicht. Da schwebt so ein Wort im Raum: "Arbeitszeitflexibilisierung". Klingt erst mal gut, bedeutet aber in Wirklichkeit, dass die Menschen immer und überall erreichbar sein müssen. Also wenn man jetzt die Menschen betrachtet, die im Büro arbeiten, dann ist es ja so, dass die von zu Hause arbeiten dürfen. Aber man setzt voraus, dass, wenn eine dringende Nachricht kommt, man erreichbar ist und seine Arbeit sofort und immer erledigt.
Das macht natürlich was mit den Menschen. Keine planbare Freizeit zu haben, bringt die Leute teilweise auch in einen Burnout, in Situationen, in denen sie krank werden. Ruhephasen gehören einfach zum Leben dazu.
DOMRADIO.DE: Es gibt aber auch viele Menschen, die können gar nicht flexibel arbeiten, weil sie im Krankenhaus angestellt sind oder bei der Polizei...
Etl: Das sind die Ausnahmen, die machen eine ganz wichtige Arbeit für unser Gemeinwohl. Die sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft funktioniert. Und dafür müssen wir sehr, sehr dankbar sein.
DOMRADIO.DE: Sprechen wir über IT-Jobs, App-Jobber und Crowd-Worker. Die Katholische Arbeitnehmerbewegung fordert hier den Ausbau der Arbeits- und Sozialrechte. Erklären Sie uns erstmal, was Crowd-Working oder App-Jobben eigentlich ist?
Etl: Crowd-Worker ist der Überbegriff für Internetnutzer, das heißt, sie arbeiten nach einem Crowd-Sourcing-System. Aufgaben und Projekte werden von Firmen in eine Plattform gestellt, und dort können die Arbeiter bzw. User sich Teile der Arbeit von der Plattform herunterholen und die dann erledigen.
DOMRADIO.DE: Der Auftraggeber gibt nicht vor, wie viel Output da kommen soll?
Etl: Nein, der bezahlt für Stunden und die Leute arbeiten auf selbständiger Basis. Die sind nicht angestellt, die Personen haben keine Arbeitsschutzbestimmungen und keine Absicherung. Das heißt keine soziale Absicherung, im Alter oder im Krankheitsfall oder bei Schwangerschaft haben die kein Einkommen.
DOMRADIO.DE: Ist das nicht eher ein Zusatzjob für Studenten, die das quasi nebenbei machen, weil sie sowieso ständig mit ihrem Smartphone verbunden sind.
Etl: Das stimmt. Es gibt sehr viele Studenten, die das nebenbei machen, aber es gibt auch sehr viele Menschen, die gar keinen anderen Job kriegen. Und die machen das hauptberuflich. Das ist natürlich sehr, sehr schwer, bei einem Stundenlohn von 3 Euro oder Dollar oder weniger zu überleben.
DOMRADIO.DE: Wie sollte menschenwürdige Arbeit denn aus Ihrer Sicht in Zukunft aussehen?
Etl: Auf jeden Fall sollte die Arbeitszeit planbar und existenzsichernd sein. Man muss so viel Geld verdienen können, damit man auch gut davon leben kann. Das bedeutet auch einen Mindestlohn von 13,44 Euro. Und es bedeutet auch, dass die Arbeit, die man macht, sinnstiftend ist. Das heißt, gute Arbeit ist.
DOMRADIO.DE: Wie könnten Politiker das umsetzen?
Etl: Es braucht auf alle Fälle einen Dialog zwischen Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Wissenschaftlern, die beraten, wie menschenwürdige Arbeit in Zukunft ausgestaltet werden soll.
Das Interview führte Dagmar Peters.