Albrecht von Boeselager zu Vergangenheit und Zukunft der Malteser

"Eine Reform ist ein schmerzhafter Prozess"

Albrecht Freiherr von Boeselager ist als Großkanzler einer der einflussreichsten Köpfe im Malteserorden, der nun in Rom eine neue Leitung wählt. Im Interview erklärt er, wie man als "Außenminister" international die Interessen des Ordens vertritt.

Albrecht Freiherr von Boeselager / © Stefano dal Pozzolo (KNA)
Albrecht Freiherr von Boeselager / © Stefano dal Pozzolo ( KNA )

KNA: Die Geschichte der Malteser reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück. Wie lässt sich diese Langlebigkeit erklären?

Albrecht Freiherr von Boeselager (Großkanzler des Malteserordens): Anlass für die Gründung des Ordens war nicht der Kreuzzug, sondern es gab ihn schon vorher. Das heißt, die zentrale Aufgabe und Mission war nicht eine militärische, sondern eine karitative. Verteidigungsaufgaben wurden erst später zusätzlich übernommen, nachdem sich Kreuzritter der existierenden Bruderschaft angeschlossen hatten. In der ganzen Geschichte sind nie weniger als 60 Prozent des Budgets für soziale Zwecke verwandt worden. Der Orden verlor mit dem Wegfall der militärischen Aufgaben also nicht seine Existenzberechtigung wie der Deutsche Orden oder die Templer.

KNA: Welche Rolle spielt bei den heutigen Mitgliedern eine adelige Abstammung?

von Boeselager: Wir sind inzwischen auf allen fünf Kontinenten vertreten; den Adel gibt es nur in Europa. Adelige stellen schon lange nicht mehr die Mehrheit unter den Mitgliedern.

KNA: Aber in der Leitungsebene ist der Adel dennoch sehr präsent.

von Boeselager: Das trifft auf die höchsten Wahlämter zu. Aber das ist gerade in der Diskussion.

KNA: Mitte der Woche wählt der Große Staatsrat der Malteser in Rom eine neue Leitung. Sie gehören dem aus fast 60 Mitgliedern bestehenden Gremium an. Weht da auch der Heilige Geist, wie beim Konklave, der Papstwahl?

von Boeselager: Darauf will ich doch vertrauen!

KNA: An den Großmeister oder den übergangsweise gewählten Statthalter werden ganz bestimmte Erwartungen gestellt.

von Boeselager: Er muss Professritter sein und dem alten Adel angehören.

KNA: "Alter Adel" heißt "Hochadel"?

von Boeselager: Nein, die Definition richtet sich nach dem Adelsrecht in den jeweiligen Herkunftsländern.

KNA: Sie wären aber mit einem Stammbaum, der bis 1363 belegt ist, locker drin, oder?

von Boeselager (lacht): Dieses Kriterium wäre wohl kein Problem.

KNA: Aber Professritter sind Sie nicht...

von Boeselager: Nein, das ist der sogenannten Erste Stand. Die Professen haben die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams abgelegt. Ich selbst gehöre dem Zweiten Stand an. Das sind meistens verheiratete Männer oder Frauen, die ein Gehorsamsversprechen ablegen.

KNA: ... dann gibt es noch einen Dritten Stand.

von Boeselager: Ordensritter und Damen, die keine kirchenrechtliche Bindung eingehen, sich aber verpflichten, in dem Orden mitzuarbeiten und nach den Lehren der katholischen Kirche zu leben.

KNA: Macht alles in allem?

von Boeselager: Rund 13.500 Ordensmitglieder. Dazu kommen noch etwa 120.000 ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter weltweit, die jedoch keine Ordensritter oder Damen sind.

KNA: Ist es richtig, dass dem Ersten Stand nur Männer angehören können, Frauen somit von der Leitung des Ordens ausgeschlossen sind?

von Boeselager: Ja. Es ist auch schon überlegt worden, ob sich mal ein Zweig weiblicher Professen bilden könnte - aber das ist nicht akut. Das kann man ja auch nicht theoretisch diskutieren. Dazu müssen sich erst Frauen finden, die das auch tatsächlich machen wollen.

KNA: Papst Franziskus hat unlängst einen Stopp verhängt für die Aufnahme neuer Professritter. Was steckt dahinter?

von Boeselager: Der Heilige Vater wünscht eine Reform des Ersten Standes. Und es ist nicht sinnvoll jetzt Kandidaten aufzunehmen, ohne dass klar ist, wie der Erste Stand in Zukunft aussehen wird. Die Problematik hat geschichtliche Gründe. Nach der Eroberung Maltas durch Napoleon 1798 und die nachfolgende Säkularisierung geriet der Orden in eine tiefe Krise. Eine Folge war, dass er seine Professritter nicht mehr finanziell absichern konnte. Also mussten sie in zivilen Berufen ihr Auskommen suchen und konnten auch nicht mehr in Gemeinschaft leben.

KNA: Schwer vereinbar mit den Gelübden von Armut, Keuschheit und Gehorsam.

von Boeselager: Die derzeitigen Professen sind noch unter der Bedingung eingetreten, dass der Orden nicht verpflichtet ist, für ihren Unterhalt aufzukommen. Der Papst will diesen Punkt geklärt wissen, bevor neue Professritter aufgenommen werden.

KNA: Vor bald eineinhalb Jahren stand der Orden in den Schlagzeilen, weil der damalige Großmeister Matthew Festing Sie als Großkanzler entlassen wollte. Auch damals meldete sich der Papst zu Wort.

von Boeselager: Der Papst hat nicht von sich aus eingegriffen. Vielmehr ist sein Wille fälschlich ins Feld geführt worden, um mich zum Rücktritt aufzufordern. Und das wollte der Heilige Stuhl ziemlich schnell klar gestellt haben. Eine solche Klarstellung ist aber vom damaligen Großmeister nicht gekommen. Erst daraufhin hat der Heilige Stuhl das Verfahren an sich gezogen.

KNA: Gab es einen Moment, in dem sie gesagt haben: Jetzt wird mir das hier zu viel, ich schmeiße alles hin?

von Boeselager: Den gab es mehrmals. Es ist bei uns nicht üblich, um Ämter zu kämpfen. Ich habe mich schon gefragt: Geht es mir um Eigeninteressen, oder geht es um die Sache? Das war eine tägliche Gewissenserforschung.

KNA: Seitdem läuft ein Reformprozess im Orden. Stehen da auf der einen Seite Papsttreue und auf der anderen Seite Gegner von Franziskus?

von Boeselager: Nein, das spielt in dieser Debatte keine Rolle. Ich würde es eher so formulieren: Es gibt solche, die Angst haben, dass das traditionelle Proprium verloren geht, und solche, die neue Wege suchen. Eine Reform ist immer ein schmerzhafter Prozess, bis man zu einem Punkt gelangt, an dem eine weitgehende Übereinstimmung erreicht ist.

KNA: Wann wird das sein?

von Boeselager: Da will ich mich nicht festlegen. Aber das wird sicher noch über das kommende Jahr hinaus dauern.

KNA: Greift der Papst aktiv in den Reformprozess ein?

von Boeselager: Wir agieren weitgehend autonom. Nur was den Ersten Stand angeht, muss vom Heiligen Stuhl genehmigt werden.

KNA: Die Malteser sind religiöser Orden und Völkerrechtssubjekt, können also wie Staaten beispielsweise diplomatische Vertretungen eröffnen. Ihr Amt des Großkanzlers wird gern mit dem eines Außenministers verglichen. Was heißt das praktisch?

von Boeselager: Dass ich drei, vier Tage die Woche in Rom bin und auch sonst oft auf Reisen. Wir haben rund 100 Botschafterinnen und Botschafter. Es gibt die Kontakte zu anderen Regierungen und Hilfsorganisationen oder UN-Organisationen. Das bedeutet viele Gespräche, Konferenzen und Anstrengungen, für unsere Anliegen, das heißt die Anliegen derer, denen wir zu helfen versuchen, um Unterstützung und Zustimmung zu werben.

KNA: Hört sich nach viel an für ein Ehrenamt.

von Boeselager: Es ist ein Fulltime-Job.

Das Interview führten Joachim Heinz und Alexander Brüggemann.


Quelle:
KNA