Ein Haufen empörter Adliger zieht hinauf zur Prager Burg. Mit Degen und Pistolen in den Händen stellen die protestantischen Vertreter der böhmischen Stände die Statthalter des katholischen Königs zur Rede. Sie fürchten um die Religionsfreiheit. Die Lage eskaliert schnell: Die Adligen packen die Statthalter sowie einen Sekretär und werfen sie aus dem Fenster.
Dieser "Prager Fenstersturz" vom 23. Mai 1618 gilt als Auslöser für den schrecklichsten aller Kriege der Frühen Neuzeit. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) stehen sich protestantische Fürsten und kaisertreue Katholiken gegenüber. Aber auch Schweden, Dänemark, Frankreich sowie das Habsburgerreich und der Papst. Am Ende sind mehr als ein Viertel der Bevölkerung getötet.
"Ein sehr katholisches Argumentationsmuster"
Krieg liegt schon lange in der Luft. Schon 1608 gründen protestantische Fürsten die "Union" als Verteidigungsbündnis, die Katholiken schließen sich in der "Liga" zusammen. In Böhmen kommt die Frage hinzu, was der Monarch entscheiden darf und was die Stände, also Adel und Städte. Als Kaiser Matthias die Rekatholisierung vorantreibt und Zugeständnisse zurücknimmt, die sein Vorgänger Rudolf II. den Protestanten in Böhmen und Österreich gemacht hat, setzen sich die böhmischen Stände zur Wehr.
Die protestantische Seite unterstellt den Katholiken, Krieg aus religiösen Gründen zu führen. Tatsächlich setzen der katholische Matthias und dessen Nachfolger Ferdinand II. den protestantischen Widerstand mit einer Rebellion gegen Gott gleich. "Ein sehr katholisches Argumentationsmuster", sagt der Würzburger Historiker Christian Mühling. Er hat über Religionskriege - oder was man dafür hält - promoviert und den diesjährigen Deutsch-Französischen Dissertationspreis erhalten.
Konflikt um die Verfassung
Die Konfliktlinien im Dreißigjährigen Krieg verlaufen aber nicht nur entlang der Konfessionen. Mehrere lutherische Territorien unterstützen den katholischen Kaiser, Sachsen zum Beispiel. Auch bei Feldherren oder einfachen Soldaten spielt die Konfession kaum eine Rolle bei der Frage, auf wessen Seite sie kämpfen.
Viele Historiker beschreiben den Krieg als einen Konflikt um die Verfasstheit des Reichs: Der Augsburger Religionsfriede hatte nämlich im Jahr 1555 nach einer Zeit blutiger Kriege das Verhältnis zwischen Lutheranern und Katholiken im Reich geregelt. Seither aber sind als dritte Kraft die Reformierten hinzugekommen, dazu zählen Anhänger des Reformators Calvin. Ein zentrales Territorium des Reichs, die Kurpfalz, ist reformiert.
Ein Religionskrieg?
"Religion spielte eine Rolle, aber man kann nicht sagen, dass der Dreißigjährige Krieg ein Religionskrieg gewesen sei", sagt der Berliner Politologe Herfried Münkler. Den wackelig gewordenen Augsburger Religionsfrieden würde er nicht als Hauptursache benennen.
Ob nun zwei oder drei Konfessionen mitspielten, sei gar nicht entscheidend. Viel wichtiger sei, dass in den Jahren vor dem Krieg die radikalen Kräfte auf beiden Seiten Oberwasser bekommen hätten - auf protestantischer Seite die Reformierten, auf katholischer die Jesuiten, die auf Kaiser Matthias viel Einfluss haben.
Wie soll Europa organisiert sein?
Münkler sieht vier Konfliktebenen, die dem Krieg seine Schärfe verleihen. Zu konfessionellen Gegensätzen und dem Streit zwischen Krone und Ständen kommt die Verschiebung von Grenzen: Viele Fürsten verleiben sich Gebiete ihrer Rivalen ein. "Und viertens ging es um die Frage, wie Europa organisiert sein soll", sagt Münkler.
Die katholischen Habsburger, die den österreichischen, böhmischen und spanischen Thron sowie die Kaiserkrone innehaben, sind dabei, sich zur dominierenden Macht emporzuschwingen. Das ruft vor allem den Widerstand des ebenfalls katholischen Frankreichs hervor, das den Feinden Habsburgs zuerst mit Geld und später mit Truppen hilft.
Vergleich mit Syrien umstritten
Heute bezeichnet man mitunter Kriege wie den in Syrien als Wiederholung des Dreißigjährigen Kriegs. Einen Vergleich wagt der Historiker Mühling aber gar nicht erst. "Ich vermute stark, dass es in Europa gewisse Vorstellungen darüber gibt, was ein Religionskrieg sei", sagt er. Solche Abziehbilder klebe man dann auf zeitgenössische Konflikte. Tatsächlich aber habe jeder Konflikt seinen ihm eigenen "Cocktail aus Ursachen".
Münkler hingegen sieht die vier Ebenen des Dreißigjährigen Kriegs auch in Konflikten wie im Ostkongo oder in Syrien. Syrien sei "ein Beispiel für einen Typus von Krieg, in dem sich Bürgerkrieg, Staatenkrieg und Religionskonflikt vermischen", sagt er. Der Aufstand gegen das Assad-Regime sei Ausdruck eines Verfassungskonflikts, der Konfessionsgegensatz zeige sich in der Konfrontation der Schiiten gegen die Sunniten. Grenzveränderungen wiederum habe der IS versucht - und die Kurden seien mindestens nicht abgeneigt. Außerdem würden der Iran und Saudi-Arabien um die regionale Hegemonie ringen, eine Nummer größer sei dies bei Russland und den USA der Fall.
Ein Trauma für Jahrhunderte
Im Dreißigjährigen Krieg gelingt es erst 1648, nach langen Verhandlungen im Westfälischen Frieden ein friedliches Nebeneinander der Konfessionen zu organisieren. Reformierte werden Lutheranern und Katholiken gleichgestellt, Untertanen müssen nicht mehr die Konfession ihrer Fürsten annehmen. Die Grausamkeit des Krieges aber prägt sich als Trauma ein, das Jahrhunderte fortwährt.
Für die Statthalter und den Sekretär in Prag hatte der Sturz aus dem Burgfenster keine dramatischen Folgen. Katholische Augenzeugen gaben an, sie hätten die Jungfrau Maria gesehen, wie sie die drei «mit ihrem Mantel in den Lüften erhalten und auf die Erde getragen hat». Protestanten hingegen beschrieben, dass ein Misthaufen unter dem Fenster den Aufprall gedämpft und schlimmere Verletzungen verhindert habe.