Iren entscheiden über Legalisierung von Abtreibungen

Emotionale Abstimmung

An diesem Freitag sind die Iren aufgerufen, über eine Legalisierung von Abtreibungen in ihrem Land zu entscheiden. Haben die Iren mit einem der schärfsten Anti-Abtreibungsgesetze der Welt auch wirklich die Belange der Frauen im Blick?

Abtreibungsgegner mit Schildern: "Stimmt NEIN zur Abtreibung auf Abruf" / © Brian Lawless (dpa)
Abtreibungsgegner mit Schildern: "Stimmt NEIN zur Abtreibung auf Abruf" / © Brian Lawless ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das Leben des ungeborenen Kindes wird in Irland mit dem Leben der Mutter gleichgesetzt. Das Ganze ist in der irischen Verfassung festgeschrieben. Es führt aber auch dazu, dass selbst unter großer Lebensgefahr der Mutter eine Abtreibung nicht möglich ist. Das Gesetz existiert seit dem Jahr 1983. Mehrere Frauen sind seitdem auch deswegen während der Schwangerschaft verstorben. Vom Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen wird die Gesetzeslage als inhuman und entwürdigend bezeichnet.

Deutschland diskutiert im Prinzip momentan etwas Ähnliches, nämlich das Abtreibungsrecht. Der aktuelle Stand ist bei uns, dass das Abtreiben von ungeborenen Kindern in Deutschland eine Straftat darstellt, die aber nicht geahndet wird. Inwiefern unterscheidet sich denn davon die Lage in Irland?

Stephan Arras (Pfarrer der deutschsprachigen lutherischen Gemeinde in Dublin): In Irland wird das natürlich geahndet. Bis zu 14 Jahre Haft drohen bei einer Abtreibung. Und das Entwürdigende ist, dass man keinerlei Möglichkeit hat, eine Abtreibung in Irland durchzuführen, selbst wenn es eine medizinische Indikation gibt, was dazu führt, dass tausende von Frauen jedes Jahr nach England reisen, um das dort vornehmen zu lassen. Das ist in der Tat entwürdigend und auch ein gewisses Problem für die irische Gesellschaft.

DOMRADIO.DE: Die Zahlen sprechen sogar von ungefähr zehn Frauen am Tag, die nur aus dem Grund nach England reisen. Jetzt könnte man ja eigentlich unter Gesichtspunkten des Lebensschutzes aus christlicher Sicht sagen, es sei gut, dass die irische Verfassung das ungeborene Leben schützt. Weshalb üben die Vereinten Nationen auf der anderen Seite so scharfe Kritik daran?

Arras: Ich denke, das Hauptproblem an der jetzigen Regelung ist, dass man die Belange der Frauen nicht wirklich im Blick hat. Bei einer ungewollten Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung beispielsweise. Da gibt es auch ein Beispiel aus der Vergangenheit, eine Vergewaltigung durch Soldaten. Das Mädchen ist später bei dem Versuch gestorben, selber eine Abtreibung vorzunehmen. Dass man den Frauen nicht beisteht, ist wohl das ganz große Problem der gegenwärtigen Lösung.

DOMRADIO.DE: Jetzt geht es in der Abstimmung über diese eine konkrete Frage: Soll das Verbot der Abtreibung aus der irischen Verfassung herausgenommen werden? Ist das denn eine größere gesellschaftliche Auseinandersetzung, die dahintersteckt?

Arras: Es ist im Grunde genommen eine sehr komplexe Geschichte. Eigentlich geht es bei der Abstimmung nur darum, ob der Verfassungszusatz gestrichen wird. Damit ist eigentlich offiziell noch gar nicht ausgesagt, wie der irische Staat künftig mit der Abtreibung umgeht. Man kann natürlich ahnen, wenn es dann nicht mehr in der Verfassung steht, sondern ein allgemeines Gesetz wird, dass dann das Gesetz so formuliert wird, wie die Abtreibungsbefürworter es sehen möchten. Deswegen ist die Auseinandersetzung sehr emotional.

Ich glaube, dass es auch eine Auseinandersetzung ist, die noch immer mit der Tradition der katholischen Kirche oder mit der Vormachtstellung zu tun hat. Wir sind ja in einem Prozess der Emanzipation von der katholischen Kirche. Das hat im Übrigen im Jahr 2015 die Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Partnerschaft sehr schön gezeigt. Damals hat die katholische Kirche sich sehr deutlich – im Übrigen die anderen christlichen Kirchen auch – sehr dagegen positioniert, was bei der Bevölkerung eher ein sehr trotziges "Jetzt erst recht" ausgelöst hat. Die Leute haben mehrheitlich für die gleichgeschlechtliche Partnerschaft gestimmt, also für die Legalisierung. Ich habe den Eindruck, dass das im Moment bei der Abtreibungsfrage auch wieder so ist.

DOMRADIO.DE: Man muss auch ein bisschen die Geschichte des Landes verstehen. Die Stellung der Kirche in Irland ist eine spezielle. Das Land ist traditionell katholisch. Der Ruf bröckelt aber, da es in den vergangenen Jahrzehnten hunderttausende belegte Fälle von Missbrauch und Misshandlung gegeben hat. Wenn wir in das Jahr 2018 schauen, wie stehen denn die Iren zum Thema Religion und zu ihrer Kirche?

Arras: Man muss noch einmal dazusagen, dass sich die katholische Kirche und auch die anderen christlichen Kirchen bei dieser aktuellen Diskussion um die Abtreibung in der Öffentlichkeit absolut raushalten. Man findet keine Plakate, auf denen dezidiert die katholische Kirche für ein "No" votiert. Da hat man dazugelernt. Diese Zeiten sind vorbei.

Die Leute hören nicht mehr auf die Kirche. Die katholische Kirche vor allem steckt in einer absoluten Krise. Ich kenne hier den Erzbischof von Dublin sehr gut. Wir verstehen uns gut und er ist sehr offen. Er sagt, das große Problem der katholischen Kirche sei, dass man in all den Jahren der englischen Unterdrückung die Institution war, die im Grunde die irische Identität gewahrt hat. Dadurch hat die katholische Kirche einen sehr guten Ruf gehabt. Nach der Staatsgründung führte es dazu, dass die katholische Kirche die moralische Instanz in Irland war und deswegen hat es früher gar kein Gesetz zur Abtreibung gebraucht, sondern die katholische Kirche hat gesagt, das gebe es nicht. Punkt.

Das Problem der katholischen Kirche ist, soweit ich das verstehe, dass man erstarrt ist und die Veränderungen in der Gesellschaft nicht gesehen hat und dann kam es zu den Missbrauchsgeschichten. Dabei gab es das Problem, dass die katholische Kirche nicht offen damit umgegangen ist, sondern man hat das lange einfach vertuscht. Das hat in der Bevölkerung das Vertrauen zerstört. Es ist natürlich sehr schwierig, zerstörtes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.

Wenn jetzt eine moralische Frage ansteht, wie die um die Abtreibung, hören die Leute nicht auf die katholische Kirche, also jedenfalls ein großer Prozentsatz. Es gibt natürlich immer noch sehr, sehr viele Menschen, die zutiefst religiös sind und die sehr wohl sehen, dass ein Fötus schon ein Leben darstellt und die der katholischen Kirche in dieser Meinung absolut folgen.

DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie eigentlich als Christ, als lutherischer Pfarrer dazu? Man müsste ja so ein bisschen in der Zwickmühle stecken, oder?

Arras: Ja und nein. Ich bin natürlich nicht dafür, dass man sagt: "Mein Bauch gehört mir, und wenn ich das Kind nicht will, dann kann es sozusagen auf den Müll." Denn das muss man ja doch sehr klar sagen, dass das Leben sehr, sehr früh beginnt und ein kleiner Mensch im Körper der Mutter schon sehr weit entwickelt ist.

Ich würde es immer mit Jesus versuchen, der den jeweiligen Menschen in den Blick bekommen hat und nicht alle über einen Kamm geschert hat. Ich glaube, Jesus würde das so machen, wenn er heute da wäre. Er würde den jeweiligen Einzelfall anschauen und da wären wir relativ nah bei dem, was wir in Deutschland haben, nämlich dass es eine Beratungsverpflichtung gibt und dass man natürlich das Ziel hat, bei einer Beratung einen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. Aber es gibt eben Fälle, wo man aus guten Gründen mit gutem Gewissen sagen kann, in diesem Fall ist es der einzige Weg, der möglich ist.

DOMRADIO.DE: Was denken Sie, wie wird die Abstimmung ausgehen?

Arras: Ich würde auf ein knappes "Ja" tippen. Also für die Streichung des Abtreibungsgesetzes.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR