Eine genaue Statistik, wie viele Christen weltweit unter Diskriminierung und Unterdrückung leiden, gibt es nicht. Berthold Pelster von «Kirche in Not» ist deshalb vorsichtig, wenn er nach einer Zahl gefragt wird. Aber differenziert betrachtet, dürften es schätzungsweise wohl gut 100 Millionen sein, sagt er und mahnt dazu, nicht die Muslime zu vergessen: Von ihnen seien in den vergangenen Jahren noch viel mehr Opfer von Gewalt geworden. Denn der gemeinsame Feind der Christen und Muslime ist der islamistische Terror, wie Father John Bakeni, katholischer Priester in der Diözese Maiduguri im Norden Nigerias, ergänzt.
Nigeria ist eines von 15 Brennpunktländern, die in der aktuellen Dokumentation "Christen in großer Bedrängnis" aufgeführt sind. Zum fünften Mal gibt das kirchliche Hilfswerk einen solchen, 250 Seiten starken Band heraus. Die Beispiele reichen von Ägypten über China bis zu Syrien, Saudi-Arabien und der Türkei. Bei der Präsentation am Montag in München spricht Pelster von einem "kleinen und soliden Kompendium", das einen Überblick über wesentliche Ursachen der Unterdrückung geben soll.
Religionsfreiheit – nicht in der Realität
Aus Nigeria ist eigens Father John angereist. Seit 1999 herrscht in dem Staat, dessen Wahlspruch "Einheit und Glaube, Friede und Fortschritt" lautet, offiziell Demokratie. Mit rund 186 Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas, geprägt von einer großen ethnischen und religiösen Vielfalt. Etwa die Hälfte der Menschen sind Muslime, die andere Christen. Seit Mai 2015 ist ein Muslim Präsident, sein Vize ein Christ.
Die Verfassung schützt die Religionsfreiheit, doch die Realität sieht vor allem im Norden des Landes anders aus. Dort lebt die muslimische Mehrheit, in den meisten Bundesstaaten findet auch die Scharia ihre Anwendung. Christen haben hier, anders als im Süden, nur geringe Bildungschancen; Beschäftigung und Beförderung wird ihnen meist verweigert, wie der Priester berichtet. Die Erlaubnis, eine Kirche zu errichten, sei letztmals 1979 erteilt worden. Vor allem aber leide die Bevölkerung unter Boko Haram.
Diese islamistische Terrorgruppe, der sich besonders frustrierte und arbeitslose junge Männer anschließen, will ein Kalifat errichten. Schlagzeilen gab es 2014, als sie 276 Schülerinnen entführten - denn Mädchen sollen ihrer Ansicht nach keine Schule besuchen: "Westliche Bildung ist Sünde", so die Übersetzung des Name der Extremistengruppe. Im Februar 2018 überfiel Boko Haram erneut ein Mädcheninternat und verschleppte 110 Mädchen. Fast alle wurden wieder freigelassen, weil sie Musliminnen waren - doch eine christliche Mitschülerin, die sich weigerte zum Islam überzutreten, nicht.
Korruption trägt Mitschuld
Father John will nicht von einem religiösen Krieg sprechen. Über Jahre hätten Muslime und Christen friedlich miteinander gelebt, betont er. Man müsse sich fragen: "Was ist schiefgelaufen?" Der Korruption als einem der größten Übel im Land gibt er eine Mitschuld an der Situation. Doch Hoffnungslosigkeit will bei ihm nicht aufkommen. Er setzt auf die Kraft der Beziehungen unter den Menschen, zählt der Geistliche doch selbst viele Muslime zu seinen Freunden.
Auch Franziskanerpater Firas Lutfi richtet den Blick in Syrien trotz nunmehr sieben Jahren Krieg nach vorne. "Gott braucht unsere Hände für den Frieden", ist er überzeugt. In Aleppo, wo von 250.000 Christen nur noch 32.000 übrig geblieben sind, hilft er, die befreite Stadt aus einem Trümmerhaufen wieder aufzubauen. Für traumatisierte Kinder bietet sein Orden seit kurzem Kunsttherapien an. Auch Eltern und ihrem Nachwuchs steht man in Sachen Bildung und Erziehung helfend zur Seite.
Mit einem islamischen Verein haben die Franziskaner das Projekt "Temporäre Betreuung unbegleiteter Kinder" gestartet. Wenig beachtete Probleme gebe es mit den vielen Kindern, die aus Eheschließungen mit ausländischen Kämpfern hervorgegangen sind: Ihre Väter sind geflohen oder gestorben. Die Mütter leiden laut Lutfi unter Schamgefühlen und werden als Mitbürgerinnen nicht akzeptiert. Der Pater erklärt, er setze auf die internationale Gemeinschaft, damit endlich Frieden in ganz Syrien einziehen könne.