DOMRADIO.DE: Wie groß ist dieses Spannungsfeld zwischen Theologie und Wissenschaft überhaupt?
Dr. Hubert Meisinger (Umwelt-Pfarrer der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau): Ich sehe grundsätzlich überhaupt kein Spannungsfeld zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Ich sage auch absichtlich Naturwissenschaften nicht einfach nur Wissenschaft, weil Theologie auch eine Wissenschaft in sich selber ist, weil beide - Theologie und Naturwissenschaft - mit verschiedenen Perspektiven auf die Welt schauen und dadurch erst ein ganzheitliches Verständnis von dem ermöglichen, was Welt ist, was Leben auf dieser Welt ist und was vielleicht auch Leben im Kosmos ist.
DOMRADIO.DE: Alexander Gerst sagt, "Horizonte" steht für ihn für das Unbekannte. Er sagt: "Wenn ich einen Horizont sehe, frage ich mich als erstes: Was liegt denn dahinter und deshalb betreiben wir Wissenschaft auf der ISS. Ich möchte Horizonte erweitern." Am Ende liegen da aber auch für so einen Astronauten wahrscheinlich Grenzen des Erklärbaren?
Meisinger: Es kann sein, dass es Grenzen gibt. Es gibt vielleicht prinzipielle Grenzen des naturwissenschaftlich Erklärbaren. Allerdings würde für mich nicht erst dann die Gottesfrage einsetzen, sondern die Gottesfrage setzt ein, wenn wir uns überhaupt über das Dasein, über das Leben, über die Vielfalt des Lebens, über das Werden und die Evolution des Lebens Gedanken machen. Das ist die eigentlich spannende Frage, finde ich; und nicht erst an den Grenzen nach Gott zu fragen. Das ist eine Theorie, die wurde mal als "Lückenbüßer-Gott" bezeichnet. An dieser Theorie kann man sich wunderbar abtrainieren, um zu üben, was eigentlich nicht das Verständnis von Gott sein sollte.
DOMRADIO.DE: Jetzt laufen ja die nächsten Tage und Wochen Hunderte Experimente auf der ISS, das sind Experimente, die zum Beispiel auch von deutschen Universitäten organisiert werden, Forschungseinrichtungen, Firmen. Und all diese Versuche sollen unter anderem Fragen aus Biologie und Medizin beantworten - oder Physik, Materialwissenschaft, Technologie... Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich als Theologe?
Meisinger: Man hat in der Vergangenheit erlebt, dass viele neue Erkenntnisse dazu gekommen sind. Ich glaube, Klettverschluss und Teflonpfanne kommen aus der Weltraumforschung. Ich kenne jetzt aber leider keine konkreten Experimente, die Gerst oder die Crew durchzuführen haben. Ich erhoffe mir aber generell, dass diese Spannung für das Erkennen von Neuem erhalten bleibt, das Überschreiten von Horizonten, das immer wieder "Aus-sich-herausgehen" mit Phantasie, mit Kreativität. Das ist mir ganz wichtig. Das hat Alexander Gerst beim letzten Mal schon wunderbar gemacht. Das wird er sicherlich auch wieder so machen, um die Menschen auf der Erde dafür zu begeistern.
DOMRADIO.DE: Man kann über die sozialen Medien unheimlich nah dran sein. Auf Twitter und Instagram ist Alexander Gerst sehr aktiv. Verfolgen Sie das?
Meisinger: Ich werde sicherlich auch hin und wieder mal schauen, was er so sagt. Aber ich werde nicht 24 Stunden am Tag dafür Zeit haben, das wird mir nicht gelingen (lacht). Aber ich finde es hochspannend, eine solche Mission zu verfolgen, Menschen ins Weltall zu schießen, die dort draußen in einem unwirtlichen Raum leben können. Das ist ja auch ein Zeichen dafür, dass wir mit unserer Welt insgesamt besser umgehen müssen, damit sie selbst nicht unwirtlich wird.
DOMRADIO.DE: Es klingt, als würden sie selbst auch hoch fliegen würden, wenn Sie könnten.
Meisinger: Ich habe vor vielen Jahren mal einen Artikel für die evangelische Sonntagszeitung schreiben dürfen. Und meine Frau meinte, nachdem sie das gelesen hatte: "Oje, ich habe das Gefühl, du würdest am liebsten sofort mitfliegen." Ich bin nicht sicher, ob ich es wirklich täte, aber die Spannung und das Interesse daran, Neues zu entdecken... Ja doch, das wäre schon was!
Das Interview führte Verena Tröster.