Weihbischof Steinhäuser über den interreligiösen Dialog

"Der Islam ist für uns eine völlig andere Welt"

Der Kölner Weihbischof Rolf Steinhäuser ist Bischofsvikar für die Ökumene und den interreligiösen Dialog und seit Ostern auch Bischofsvikar für die Ausbildung Ständiger Diakone. Den Dialog mit Muslimen sieht er als eine seiner Herausforderungen.

Weihbischof Rolf Steinhäuser / © Harald Oppitz (KNA)
Weihbischof Rolf Steinhäuser / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was ist die Aufgabe eines Bischofsvikars?

Rolf Steinhäuser (Weihbischof im Erzbistum Köln): Bischofsvikare sind Beauftragte des Erzbischofs für besondere Aufgaben und verfügen über eine eigene Jurisdiktion. Das heißt, sie sind nicht dem Generalvikar, dem allgemeinen Vertreter des Erzbischofs, unterstellt. Der Titel "Vikar" leitet sich vom lateinischen Vicarius – Statthalter, Stellvertreter – ab. Uns Weihbischöfen werden als Bischofsvikaren bestimmte Aufgaben zugewiesen.

In diesen Bereichen vertreten wir den Erzbischof – natürlich immer in enger Abstimmung mit ihm. In meinem Fall bedeutet das die Zuständigkeit für die Themenbereiche "Ausbildung Ständiger Diakone", "Ökumene" und "Interreligiöser Dialog". Ich setze Schwerpunkte und kann eigene Entscheidungen treffen. Vorrangig verstehe ich mich als "Kümmerer", nicht als "Entscheider".

DOMRADIO.DE: Angesichts der Zunahme antisemitischer Übergriffe und der anhaltenden Diskussion zu Kopftuchverboten oder Sätzen wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" scheint auf den ersten Blick Ihre derzeit mit der größten Spannung besetzte Aufgabe der interreligiöse Dialog zu sein…

Steinhäuser: Im Erzbistum Köln gibt es ein Referat "Dialog und Verkündigung", bei dem die eigentliche Expertise liegt, was das Wissen über andere Religionen und die Kontakte zu ihnen angeht. Die Existenz dieser mir zugeordneten Arbeitsgruppe zeigt unsere Wertschätzung für dieses Thema.

Immer sollen die Beziehungen zu anderen Religionen, auch wenn es um Abgrenzung oder Konflikte geht, dem Ziel dienen, einen Weg in friedlicher Koexistenz zu finden. Denn darum geht es: um Respekt vor dem Fremden und auch um das gemeinsame Lernen mit- und voneinander. Verbunden damit ist der Zuwachs an Wissen. In erster Linie verstehen wir uns als Bündnispartner für das konkrete Leben der Menschen. Beim Weltgebetstag für den Frieden 2016 in Assisi hat Papst Franziskus gesagt: "Nichts ist verloren, wenn man den Dialog wirklich praktiziert."

Die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass die katholische Kirche nichts von dem ablehnt, was in den anderen Religionen wahr und heilig ist und dass sie "nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet", ermutigt uns zum Dialog und zur gemeinsamen Suche nach der Wahrheit.

DOMRADIO.DE: Können Sie Beispiele nennen?

Steinhäuser: Es macht einen Unterschied, ob Menschen einen Gottesglauben haben oder ob sie Atheisten oder Agnostiker sind. Nehmen wir beispielsweise das Judentum: Uns verbindet das Alte Testament, die Heilige Schrift Israels, trotzdem interpretieren wir sie nicht gleich. Wir haben eine gemeinsame biblische Basis, aber es verbindet uns auch eine gemeinsame leidvolle Geschichte. Gemeinsamkeiten gibt es bis zu einem bestimmten Punkt auch mit dem Islam: Wir glauben miteinander, dass es einen allmächtigen Gott gibt, der uns am Ende der Zeit richten wird, und wie die Muslime suchen wir die Hingabe an seinen Willen. 

Interessant ist, dass viele muslimische Eltern ihr Kind lieber in eine katholische Kita geben als in eine kommunale Einrichtung, weil wir – bei aller Unterschiedlichkeit –  doch viele gemeinsame Werte teilen.

DOMRADIO.DE: Was kann oder muss das Ziel des interreligiösen Dialogs sein? Gibt es einen definierten Auftrag?

Steinhäuser: Die Minimalebene muss eine gute Nachbarschaft sein, wie sie in Köln gleichermaßen von den Kirchengemeinden, der Synagogen- und vielen Moschee-Gemeinden angestrebt wird. Es geht um die Gestaltung eines Miteinanders als gemeinsame Aufgabe – verbunden mit den Fragen: Was ist in unserem Stadtteil angesagt? Was brauchen die Menschen? Wie können wir dafür eintreten?

Da ist gerade Köln ein sehr interessanter Ort, wo es eine jüdische Gemeinde bereits in der Römerzeit gab. Es existiert also eine lange Geschichte des Mit-, Neben- und Gegeneinanders. Dafür gibt es Zeugnisse, zum Beispiel im mittelalterlichen Chorgestühl des Kölner Doms, in dessen Schnitzwerk unter anderem auch eine heftige Verunglimpfung des Judentums dargestellt ist. Antisemitismus gab es demnach also auch schon im Mittelalter. Er lief gewissermaßen in der Geschichte der Kirche stets mit. Immer wieder gab es Zeiten, in denen jüdisches Leben abgelehnt wurde; schließlich galten die Juden als Christus-Mörder. Einen anderen Spitzenwert – jedoch positiv – erreichte Papst Benedikt im Jahr 2005 mit seinem Besuch in der Kölner Synagoge oder Kardinal Meisner, der der jüdischen Gemeinde eine restaurierte Thora-Rolle zurückgab. Heute sehen wir den christlich-jüdischen Dialog als besondere Aufgabe.

DOMRADIO.DE: Und wie ist Ihr Blick auf den Islam in Köln?

Steinhäuser: Köln ist der Sitz der großen muslimischen Verbände in Deutschland: der Ditib, der VIKZ und von Milli Görüs. Mit vielen Verbänden der Moschee-Gemeinden gibt es Kontaktpflege und manchmal auch eine Zusammenarbeit. Man muss sich davor hüten, beim Islam alles in einen Topf zu werfen: den sogenannten Heiligen Krieg, den Islamismus und Gläubige, die einfach nur zum Freitagsgebet in die Moschee gehen und in Frieden ihren Glauben leben wollen.

Der Islam ist eine vielgestaltige und differenzierte Wirklichkeit: Es gibt die Sunniten, Schiiten, Alewiten und viele andere Gruppierungen und Richtungen mehr. Das sind sehr verschiedene Glaubensgruppen, die auch Unterschiedliches vertreten, sich manchmal auch gegenseitig ausschließen. Da muss man schon genau hinschauen. Uns beschäftigt beispielsweise, wie wir uns zu islamischem Religionsunterricht positionieren, wie zu interreligiösen Feiern in Schulen oder gemeinsamen Formen von Gottesdiensten – worin viel Konfliktpotenzial steckt. So erarbeiten wir derzeit mit der Schulabteilung eine Handreichung für multireligiöse Feiern.

DOMRADIO.DE: Das heißt, man kommt auch schon mal an die Grenzen dieses Dialogs…?

Steinhäuser: Es ist gar nicht so einfach, überhaupt erstmal in einen Dialog zu finden. Der Islam ist für uns eine völlig andere Welt. Wenn man so will, leben wir manchmal eher nebeneinander her. Ein Problem ist zudem, dass ich auf meiner Ebene keine direkten Ansprechpartner habe. Muslime sind ganz anders organisiert als wir: wie gesagt in großen Verbänden und Moschee-Gemeinden. Einen theologischen Dialogpartner auf Augenhöhe gibt es oft nicht, zumal die meisten Imame weder eine universitäre theologische Ausbildung absolviert haben noch deutsch sprechen. Im Moment agieren wir situativ und fallweise. Trotzdem ist es so, dass der Dialog mit dem Islam auf Zukunft hin eine noch wichtigere Größe werden wird.

DOMRADIO.DE: Im Gespräch miteinander zu sein ist sicher das eine, gibt es aber denn auch konkrete Ergebnisse?

Steinhäuser: Neu und eine Frucht unseres Referates ist der berufsbegleitende Masterstudiengang "Interreligiöse Dialogkompetenz" an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Steyler Missionare in St. Augustin (PTH), ein gemeinsames Projekt des Erzbistums Köln, der PTH, der Katholischen Hochschule NRW sowie des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln, das auch federführend ist. Außerdem gibt es interreligiöse Lernprogramme für Kitas, an deren Entwicklung wir beteiligt sind.

DOMRADIO:DE: Ihre Dialogbereitschaft und -fähigkeit wird sicher auch in der ökumenischen Auseinandersetzung so manches Mal auf die Probe gestellt…

Steinhäuser: Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass schon zwischen den christlichen Konfessionen die Glaubensunterschiede groß sind – geschweige denn zwischen den großen Religionen. Aber einen Dialog führen muss ja auch nicht heißen, dass wir schon in allem eins sind, sondern, dass wir sehr bewusst auf einem Weg miteinander und zueinander sind. Es gibt sehr viel praktisch gelebte Ökumene: So war ich zu Gast bei der evangelischen Landessynode und habe dort für die nordrhein-westfälischen Bistümer ein Grußwort gesprochen. Dann gibt es traditionell in Köln den ökumenischen Gottesdienst am ersten Fastensonntag und am ersten Adventssonntag mit dem Erzbischof und dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Auch das gemeinsam begangene Reformationsjubiläum, bei dem uns die evangelischen Glaubensbrüder im letzten Jahr zu einem Christusfest eingeladen haben, war ein wichtiger Schritt aufeinander zu und hat keineswegs der gegenseitigen Abgrenzung gedient.  Wir im Erzbistum Köln haben zu einem hochkarätig besetzten Symposium zur Luther-Frage nach dem gnädigen Gott eingeladen. Es geschieht also schon eine Menge, vor allem vor Ort auf der Gemeindeebene. Und diese Zeichen muss man wertschätzen. Fakt ist aber auch, dass wir den Auftrag Jesu, eins zu sein, noch lange nicht eingelöst haben. Trotzdem hat jeder Dialog schon einen Wert an sich.

DOMRADIO.DE: Was heißt das?

Steinhäuser: Wirklich spannend wird es doch immer, wenn es konkret wird. Dafür müssen wir mehr voneinander wissen und voneinander lernen, auch die wechselseitigen Empfindlichkeiten wahrnehmen. Unser Verständnis von Amt, Kirche und Sakrament ist unterschiedlich und trennt uns nach wie vor schmerzhaft, auch wenn viele Christen meinen, einfach darüber hinwegspringen zu können. Hier braucht es sicher Geduld, Ausdauer und ein wachsendes Vertrauen auf den Heiligen Geist.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Quelle:
DR