Augsburger Wissenschaftler forscht zu Religion in Videospielen

Zocken mit Jesus

Jesus, der Prophet Mohammed oder auch der gute alte Göttervater Zeus - sie alle kommen in Videospielen vor. Religiöse Bezüge beim Zocken auf dem Bildschirm sind gang und gäbe. Welche Motivation steckt dahinter?

 (DR)

KNA: Haben Sie heute schon Gott gespielt?

Nathanael Riemer (Gastprofessor für Jüdische Kulturgeschichte an der Universität Augsburg): Nein. Wie viele meiner Kollegen leide auch ich an Zeitmangel. Das führt oft dazu, dass selbst die neuesten Videospiele nicht so zeitnah untersucht werden können, wie man sich das wünscht. In der Tat aber wird in den Games häufig Gott gespielt oder auch mit Göttern und gegen sie.

KNA: Warum ist Religion in Videospielen so verbreitet?

Riemer: Weil sie eine Vielzahl von Motiven, Figuren, Mythen und Riten der verschiedenen Religionen rezipieren. Apokalypsen und post-apokalyptische Szenarien sind oft religiös geprägt und bieten zudem reichlich Gelegenheit zur grafisch-dramatischen Ausgestaltung. Dort etwa, wo es kaum Hoffnung zu geben scheint, wird mit dem Spieler ein Superheld ins Geschehen geworfen, der die Menschheit retten soll.

Aufgaben wie diese erwählen den Gamer quasi zum Messias aus, dessen Handeln auch als religiöse Aktivität verstanden werden kann. In anderen Spielen kann man zwischen verschiedenen Gottheiten wählen, sie anbeten, ihnen dienen - der Spieler wird zum frommen Menschen.

KNA: Kommt Religion noch auf weitere Arten in Spielen vor?

Riemer: Die Gameindustrie verfolgt, je nach Zielgruppe, verschiedene Strategien zum Einsatz religiöser Topoi. Die funktional-sachliche Einbindung etwa, besonders in Strategiespielen: Dabei werden Siedlungen aufgebaut, in denen Klöster, Moscheen und Tempel die Zufriedenheit und den Bildungsgrad der Bewohner stärken und so zur Grundlage für Wissenszuwachs und Wirtschaftskraft werden, die wieder neue Ressourcen schaffen. Ferner gibt es Spiele, für die neue Kulte kreiert werden, und solche, die Religionen aus eher kritischen Perspektiven simulieren. Und manche blenden zunächst Erklärungen ein, den Glauben realweltlicher Gruppen nicht diskriminieren zu wollen.

KNA: Finden schwierige Themen wie Islamismus oder Antisemitismus daher in Videospielen nicht statt?

Riemer: Diese Themen werden in der Regel nicht direkt eingebunden.

KNA: Apropos Islamismus: Dienen Videospiele auch als Werkzeug zur Rekrutierung für gefährliche Ideologien oder wenigstens zur Missionierung?

Riemer: Es gibt Spiele mit eindeutigem, didaktisch auftretendem Missionscharakter, beispielsweise von evangelikalen Gruppen oder auch von Atheisten. Ich halte den Erfolg dieser Missionierungsversuche für sehr überschaubar. Von meinen Studenten kann ich jedenfalls nicht berichten, dass sie wegen des Zockens plötzlich öfter zur Bibel griffen. Und auch zur Propagandareklame für Islamisten taugen Videospiele kaum. Denn die Einstiegsbarrieren, ein ansprechendes Game herzustellen, das ernsthaft gespielt und nicht verspottet wird, sind sehr hoch: Hiermit sind exorbitante Investitionen von Geld und Fachleuten verbunden. Youtube-Filme sind da weitaus effektiver.

KNA: Und andersherum: Gibt es von religiöser Seite Ablehnung gegenüber Rechnerspielen?

Riemer: Gelegentlich, aber oft nicht explizit in Bezug auf Videospiele. Es gibt Gruppen wie die Amish People oder orthodoxe Juden, die modernen Medien generell sehr reserviert bis ablehnend gegenüberstehen. Denn solche frommen Strömungen - gleich welcher Religion - möchten die Menschen davor schützen, von Gott und seinen Geboten abgelenkt und zum sogenannten Götzendienst verführt zu werden. Letztlich muss jeder für sich entscheiden, ob er das Spielen mit Figuren wie Jesus, Zeus oder Mohammed blasphemisch findet - zumal manche Videospiele den Anspruch erheben, Kunst sein zu wollen und dies auch sind. Aber man kann es ja auch andersherum sehen.

KNA: Nämlich?

Riemer: Vielleicht wird nicht das Heilige profaniert, sondern das Videospiel zu einer Art religiösem Ritual, das gleichsam Transzendenzerfahrungen verschaffen kann. Der Spieler tritt aus dem Alltag heraus in eine eigene Welt, in der er regelmäßig Heldenkräfte erlangt und Wunder wirken kann. Der Bedarf nach solchen Gefühlen und Erlebnissen ist in unserer Gesellschaft auf jeden Fall nach wie vor da, auch wenn viele Menschen auf der Suche danach nicht mehr in ein Gotteshaus gehen. Und auch hier kann sich heute jeder eine Meinung darüber bilden, ob das Studium eines Textkanons durch das Zocken eines Spielekanons ersetzt werden kann.

Das Interview führte Christopher Beschnitt.


Nathanael Riemer / © Christopher Beschnitt (KNA)
Nathanael Riemer / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Jugendliche spielen Videospiele / © Oliver Berg (dpa)
Jugendliche spielen Videospiele / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
KNA