Im Anflug auf Genf, Zentrum der christlichen Ökumene, dreht Franziskus Warteschleifen: Über den schneebedeckten Hochalpen des Wallis und dem sonnigen Genfer See. Ist dieser Papst zu schnell unterwegs in Sachen Ökumene? Manchen mag es nicht schnell genug gehen. Für andere schmeckt Ökumene immer noch nach Irrlehre.
Allen Ängsten und Abschottungsversuchen erteilt der Papst gleich zu Beginn seines Besuchs eine klare Absage: Man könne meinen, Ökumene sei "ein großes Verlustgeschäft". Aber um der Einheit willen, die ein Gebot Jesu sei, gelte es, eigene Zwecke aufs Spiel zu setzen, "die oftmals eng an ethnische Zugehörigkeiten oder überkommene Vorstellungen gebunden sind, seien sie mehrheitlich 'konservativ' oder 'fortschrittlich'".
Einige Teilnehmer des Gottesdiensts in der Kapelle des Ökumenischen Zentrums zeigen ein verstehendes Lächeln oder Nicken. Es sind nicht nur nationalistische Züge bei orthodoxen Kirchen oder charismatisches Elitebewusstsein einzelner Freikirchen, auf die Franziskus anspielt. Fast jede der 350 Mitgliedskirchen des Weltkirchenrates sowie die römisch-katholische hat eigene ökumenische Bremser.
"Ich wollte persönlich teilnehmen"
Der dritte Besuch eines Papstes in Genf - nach Paul VI. 1969 und Johannes Paul II. 1984 - gilt allein dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) zu dessen 70-jährigem Bestehen. "Ich wollte persönlich an den Feierlichkeiten teilnehmen, auch um den Einsatz der katholischen Kirche für die ökumenische Sache zu bekräftigen", so Franziskus. Die Gastgeber anerkennen das ausdrücklich: ÖRK-Moderatorin Agnes Abuom spricht von einem "Zeichen der Hoffnung und Ermutigung" und einer "neuen Qualität der Zusammenarbeit", Metropolit Gennadios davon, dass Franziskus' Visionen die Zusammenarbeit der Kirchen inspirieren und stärken.
Ausdrücklich dankt der Papst jenen, "die uns auf dem Weg vorausgegangen sind, indem sie den Weg des Verzeihens wählten". Jenen, "die mit der unbewaffneten Kraft des Evangeliums den Mut hatten, die Richtung der Geschichte umzukehren". In der Tat: Jahrhundertelang war Genf, einst Stadtkirchenstaat des Reformators Jean Calvin, aus römischer Sicht eine Brutstätte der Häresie. Und umgekehrt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem teilweisen Versagen der Kirchen - ein Kreuz aus Bombensplittern hängt in der Kapelle - erhielt die Idee der Ökumene frische Kraft. So entstand die Zentrale des innerchristlichen Dialogs in Genf, der Welthauptstadt der Diplomatie.
"Mehr als Sozialarbeit und Entwicklungshilfe"
In der einstigen Hochburg der calvinistischen Reformation bilden heute Konfessionslose die Mehrheit, gefolgt von den Katholiken, die die reformierten Christen überholt haben. Eine starke Triebfeder der Ökumene heißt eben auch Säkularisierung. Nicht nur deshalb spricht Franziskus am Nachmittag auch von seiner Sorge, dass Ökumene und Mission nicht mehr so eng miteinander verbunden seien wie am Anfang.
Die Kirche sei mehr als nur Sozialarbeit und Entwicklungshilfe. "Was wir wirklich brauchen, ist ein neuer Schwung bei der Evangelisierung", fordert der Papst. Dass dies heute nicht mehr gegen andere Kirchen gehen kann und darf, hat er mehrfach deutlich gemacht. Immer wieder argumentiert Franziskus mit der gegensätzlichen Logik des Evangeliums und gegen die Weltlichkeit. Ebenso fordert ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit von den Kirchen "eine Antwort, die sich von der Antwort der Machthabenden unterscheidet und die nicht unsere eigenen Interessen in den Vordergrund stellt".
Christus im Mittelpunkt
Es gehe darum, Christus in den Mittelpunkt zu stellen. Tveit verweist auf den Wandteppich im Kongresssaal. Dieser zeigt Christus inmitten der Schöpfung und vieler Kirchen mit seinem auf Griechisch geschriebenen Gebot: Dass alle eins seien. Tveit wendet sich gegen die lapidare Pragmatik mancher Ökumene-Skeptiker, ob man nicht einfach getrennt voneinander leben könne. Die Antwort, so Tveit, sei ganz einfach: Die Liebe Christi verpflichte zur Einheit. Liebe sei dabei "die Realpolitik der Kirche Jesu Christi".
Zu dieser Realpolitik gehören auch politische Themen. Dass der Papst an diesem Tag eine achtköpfige Gruppe süd- und nordkoreanischer Christen trifft, unterstreicht das gemeinsame Anliegen. Agnes Abuom nutzt ihre Rede für einen dringenden Appell zum Einsatz der Kirche für Frauen. Wie viele Frauen trägt sie Schwarz; "Black Thursday" ist eine Aktion der Kirche gegen die Gewalt an Frauen.
"Reise in Richtung Einheit"
Die schwierigen Begriffe der Ökumene - Amt und Eucharistie - sowie die zwischen etlichen Kirchen strittigen Auffassungen etwa zu Frauenordination und Sexualmoral kommen an diesem Tag nicht vor. Franziskus betont die Notwendigkeit des weiteren theologischen Dialogs. Auf jeden Fall brauche es immer wieder gegenseitige Vergebung, sagt er am Ende des Besuchs bei einer Messe mit 41.000 Gläubigen.
Das Ziel bleibt klar: "Dies ist eine Reise in Richtung Einheit", hatte Franziskus schon kurz nach dem Start in Rom erklärt. Warteschleifen oder Zwischenstopps sollen die Ökumene da nicht aufhalten.