DOMRADIO.DE: Warum braucht es denn Religionsunterricht in Deutschland ganz allgemein?
Josef Kraus (ehemaliger Schulleiter und langjähriger Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes): Da gibt es verschiedene Gründe. Da gibt es einen pädagogischen Grund und da gibt es einen verfassungsrechtlichen Grund. Zu Letzterem: Wir haben ein Grundgesetz seit dem 23. Mai 1949 und da steht drin, dass Religion ein ordentliches Lehrfach ist. Da hat sich nichts dran geändert. Dieses Grundgesetz zu ändern und das rauszuschmeißen bedürfte einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat und die ist im Moment und auf absehbare Zeit nicht zu erkennen. Damit ist und bleibt Religion das einzige Unterrichtsfach, das durch das Grundgesetz garantiert ist. Außerdem gibt es natürlich einen pädagogischen Grund: Man muss die Bibel und Religion kennen, weil man die Welt sonst nicht versteht. Würde der Religionsunterricht abgeschafft, dann müssten diese Aufgabe, Weltreligionen und andere Kulturen kennenzulernen, andere Fächer wie beispielsweise Geschichte oder Politik übernehmen. Da sollten wir lieber bei dem Fächerkanon bleiben, den wir haben.
DOMRADIO.DE: Was hätte es denn für gesellschaftlioche Folgen, wenn es keinen Religionsunterricht mehr geben würde?
Kraus: Zunächst würde das Verständnis für verschiedene Weltreligionen leiden, auch wenn es in anderen Fächern geleert würde. Der Mensch braucht Religion, weil er Bindungen braucht, weil er sich die Sinnfrage stellt. Die Frage nach Transzendenz, nach Leben, Tod, Dasein, Entstehung und Ende der Welt ist am Besten in einem Fach Religion aufgehoben.
DOMRADIO.DE: Sie waren selbst als Schulleiter lange in der Praxis aktiv. Es gibt ja auch Modelle, die andere Religionen mehr einschließen wie etwa das Fach Ethik. Kann das den Religionsunterricht ersetzen?
Kraus: Das würde ich nicht sagen. Denn ein konfessionell orientierte Religionsunterricht muss natürlich letztendlich zur Confessio führen - nicht im Sinne eines missionarischen Auftrags, aber doch auch im Sinne eines Werdens für die Religion. Die beiden großen christlichen Religionen sind da immer noch federführend, auch wenn sich die Zahlen im Moment ein bisschen bedenklich entwickeln. Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf: Wir haben in Deutschland nach wie vor 66 Prozent der Schüler in den Jahrgangsstufen 1 bis 10, die den katholischen oder den evangelischen Religionsunterricht besuchen. Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden, das ist in Bayern oder im Saarland anders als beispielsweise in den neuen Ländern, wo aufgrund der Entchristlichung während der DDR-Zeit der Anteil derjenigen gerade vielleicht noch 20 Prozent ist.
DOMRADIO.DE: Kann es denn einen ökumenischen Religionsunterricht geben oder ist diese Trennung wichtig?
Kraus: Einen reinen ökumenischen Religionsunterricht kann es im Moment noch nicht geben. Das würden die beiden großen christlichen Kirchen nicht mitmachen und da steht vielleicht auch das Grundgesetz entgegen, weil es dort in einem weiteren Passus heißt, dass die Grundsätze des Religionsunterrichts zwar vom Staat überwacht werden, aber von den Glaubensgemeinschaften bestimmt werden. Das ist doch eine gewisse Hürde. Aber wir haben die Diaspora Situation: In Süddeutschland betrifft die evangelische Christen. Da gibt es Kooperationsmodelle, wo beispielsweise dann ein evangelischer und ein katholischer Religionslehrer eine Klasse wechselweise ein halbes Jahr unterrichten. Im Übrigen ist es seit Jahrzehnten Praxis, dass man selbstverständlich kooperiert, dass die evangelischen und katholischen Religionslehrer eine gemeinsame Planung für das Schuljahr machen, dass sie ökumenische Gottesdienste zur Abitur- oder Abschlussfeier machen und Besinnungstage gemeinsam planen. Da ist sicherlich viel auf den Weg gekommen, aber ich sehe im Moment die Rahmenbedingungen nicht gegeben für einen rein ökumenischen Religionsunterricht.
DOMRADIO.DE: Wie stehen die Chancen, dass der Religionsunterricht in seiner jetzigen Form auch noch in zehn Jahren Bestand hat?
Kraus: In zehn Jahren wird er sicherlich noch Bestand haben, aber wenn ich 20-25 Jahre zurückblicke, dann beschleicht mich ein besorgtes Gefühl: Kurz vor der Wiedervwereinigung haben noch fast 90 Prozent der westdeutschen Bundesbürger einer der großen Kirchen angehört, jetzt sind es nur noch 55 Prozent. Durch die Wiedervereinigung und die Zuwanderung hat sich etwas verändert, die Schülerschaft ist heterogener geworden. Aber in zehn Jahren ist das glaube ich noch nicht den Bach runter gegangen. Aber in einer Generation in 30 Jahren könnte es vielleicht anders aussehen, da wird dann auch der Druck in Richtung noch mehr Kooperation wachsen, beispielsweise auch mit den orthodoxen Christen, die auf Grund der Zuwanderung mehr werden.