DOMRADIO.DE: Was ist das für ein Text, den der emeritierte Papst da geschrieben hat?
Jan Hendrik Stens (DOMRADIO.DE-Theologie-Redaktion): Die Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum hat vor drei Jahren ein Dokument herausgegeben, das zu einer weiteren theologischen Reflexion und Bereicherung des Dialogs zwischen katholischer Kirche und Judentum aufrufen sollte. Hintergrund ist die 50 Jahre zuvor erschienene Erklärung "Nostra aetate", die auf das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen eingeht und dies neu bewertet.
Benedikt ist nun diesem Aufruf zur Reflexion gefolgt und hat einige Gedanken zu diesem Dokument über die Juden verfasst. Allerdings hat der Text privaten Charakter und war gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Der Präsident des Einheitsrats, Kurt Kardinal Koch, der ja auch für den Dialog der Kirche mit dem Judentum zuständig ist, hat dann aber den emeritierten Papst doch überzeugen können, dessen Text in der Zeitschrift "Communio" zu veröffentlichen.
DOMRADIO.DE: Was steht denn nun im Text?
Stens: Benedikt setzt sich darin mit der Substitutionstheorie auseinander. Diese besagt, dass hinsichtlich der Erwählung und Verheißung Gottes die Christen an die Stelle der Juden treten, weil letztere Jesus Christus als Messias ablehnen. Diese Theorie ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil verworfen worden. Stattdessen spricht die Kirche vom nie gekündigten Bund, der für die Juden auch weiterhin gilt.
Benedikt steht hier ganz hinter der Lehre des Konzils, sieht jedoch noch den Bedarf einer Präzisierung und einer kritischen Betrachtung. Und die nimmt er dann im vorliegenden Text anhand einiger Stichworte wie Messias, Moral, Bundesschluss und Landnahme vor.
DOMRADIO.DE: Der Berliner Rabbiner Homolka wirft dem emeritierten Papst nun vor, er vertrete die Ansicht, die Juden seien zwar das Volk Gottes, aber die Wahrheit läge dann doch im Christentum. Stimmt das?
Stens: Das ist ja genau der Knackpunkt zwischen den beiden Religionen, der in der Person Jesu Christi liegt. Für Christen ist er der verheißene Messias, der auch noch von sich sagt, er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6). Für die Juden ist er das aber nicht. Demnach warten die Juden weiterhin auf den Messias, während wir Christen auf seine Wiederkunft warten.
DOMRADIO.DE: Aber was ist daran so problematisch, wenn es zwei verschiedene Grundansichten über den Messias gibt?
Stens: Das liegt daran, dass wir Christen uns nicht losgelöst vom Judentum verstehen können. Letztlich lesen wir ja die alttestamentlichen Texte in einem ganz anderen Licht als es die Juden tun. Und auch der Messias – ob er nun der noch zu erwartende oder der wiederkommende ist – ist für uns derselbe, wie es Kardinal Koch einmal ausgedrückt hat. Das ist für Juden natürlich nicht einfach nachvollziehbar und wirkt aus jüdischer Sicht vereinnahmend. Dennoch wird eine Umgehung dieses Problems der Kompexität des Themas nicht gerecht.
DOMRADIO.DE: Ist denn der Text von Benedikt wirklich so problematisch, wie Homolka es ihm vorwirft? Wird hier wirklich das Fundament für einen Antisemitismus auf christlicher Grundlage gelegt?
Stens: Es ist die Frage, wie ich an diesen Text herangehe und in welcher Intention Benedikt ihn geschrieben hat. Um eine Förderung von Antisemitismus oder Antijudaismus geht es ihm hier sicherlich nicht. Er möchte aber statt einer statischen Sicht auf die Substitutionslehre, die mit einem Satz alles abhakt, eine dynamische Betrachtung der ganzen Heilsgeschichte.
Benedikt wendet sich auch gegen die in progressiven christlichen Kreisen häufig anzutreffende Meinung, das Neue Testament mit seiner Bergpredigt habe die rigide Moral des Alten Testaments abgelöst. Wir merken das im liturgischen Alltag, wenn uns sperrig anmutende alttestamentliche Texte in gekürzter oder geglätteter Version vorgetragen werden oder wegen ihrer Sperrigkeit einfach entfallen, weil sie angeblich nicht zumutbar seien.
Interessant finde ich übrigens, dass Benedikt bei der Betrachtung Jesu als Messias manche traditionell-christliche Vorstellung relativiert und Parallelen zu alttestamentlichen Figuren wie Jesaja, Mose und David zieht. Dadurch fasst er den Begriff erheblich weiter.
Den Bund Gottes mit seinem Volk sieht Benedikt auch eher als eine Dynamik von mehreren Bünden, die aufeinander aufbauen. Natürlich bleibt auch in diesem Text manches unterbelichtet. Aber es waren ja ursprünglich Gedanken, die überhaupt nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.
Am schönsten ist jedoch die Emmaus-Erzählung (Lk 24,13-35) als Bild für den jüdisch-christlichen Dialog: Jesus erklärt den zwei Jüngern die Notwendigkeit seines Leidens und Sterbens "ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht".
Mit Jan Hendrik Stens sprach Hilde Regeniter.