Die Frage nach der Religionsfreiheit ist für Christen und andere Nichtmuslime in der Türkei derzeit besonders aktuell. Anlass ist eine Erklärung, die am 31. Juli von 18 spirituellen und religiösen Führern in der Türkei veröffentlicht wurde. Darin versichern die Geistlichen, dass sie ihre Religion in der Türkei frei ausüben können. Wörtlich heißt es: "Als die religiösen Repräsentanten und Leiter alter Gemeinden verschiedener Religionen und Glaubensrichtungen, die in diesem Land seit Jahrhunderten verwurzelt sind, sind wir frei in der Ausübung unserer Religion und unserer Traditionen. Äußerungen, wonach wir unterdrückt würden, sind völlig unwahr."
Reaktion auf US-Vizepräsident Pence
Zu den Unterzeichnern gehören der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomaios I., der geschäftsführende armenische Patriarch und Erzbischof Aram Atesyan, der Rabbi Rav Isaak Haleva und der syrisch-orthodoxe Patriarch Yusuf Cetin sowie kleinere Gruppen wie die bulgarisch-orthodoxe und die chaldäisch-katholische Kirche. Es ist die erste Erklärung dieser Art in der türkischen Geschichte. Widerstand regte sich zuerst beim armenischen Magazin Agos. Das titelte sinngemäß "Oh, wir waren also frei und wussten davon gar nichts!".
Tatsächlich ist die Erklärung eine Reaktion auf eine Äußerung des US-amerikanischen Vizepräsidenten Michael Pence vom 26. Juli, wonach es keine Religionsfreiheit in der Türkei gebe. Pence zielte dabei auf den seit bald zwei Jahren inhaftierten US-amerikanischen Pastor Andrew Brunson, um den sich in den vergangenen Wochen ein erbitterter Streit entzündet hat. In der Türkei wird dem evangelikalen Pastor die angebliche Unterstützung terroristischer Vereinigungen vorgeworfen.
Islamisches Lehrzentrum
US-Präsident Donald Trump will mit Wirtschaftssanktionen dessen Freilassung erwirken. Und: Es stellte sich im Nachhinein heraus, dass Ankara die Religionsgemeinschaften um diese Erklärung gebeten hatte. Zwei Tage danach wurden die geistlichen Oberhäupter zu einem Treffen in Istanbul mit Ibrahim Kalin gebeten, dem Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Zumindest sagte dies Tuma Celik, syrianischer Christ und HDP-Abgeordneter, dem Magazin "Al-Monitor".
Tatsächlich gibt es in der Türkei nach wie vor viele Probleme mit der Religionsfreiheit. Erst vor einigen Wochen wurde bekannt, dass neben dem griechisch-orthodoxen Priesterseminar auf der Prinzeninsel Heybeliada ein islamisches Lehrzentrum errichtet werden soll. Das 1844 gegründete Seminar von Chalki war lange die wichtigste Hochschule des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel und wurde 1971 geschlossen. Seit Jahren drängen Kirchenvertreter, aber auch die EU auf eine Wiedereröffnung.
Ankara blockiert seit Jahren
Schwierig bleibt auch die Lage der aramäischen Christen in der Region um Mardin. Dort wurden 2016 im Rahmen einer Gemeindereform mehrere Klöster zuerst dem Schatzamt, und dann der Religionsbehörde Diyanet überschrieben. Seit Mai dieses Jahres ist ein Teil der Güter wieder im Besitz der entsprechenden Stiftungen. Die armenisch-orthodoxe Gemeinde wiederum beklagt, dass Ankara seit Jahren Wahlen zu einem Oberhaupt blockiert. Der amtsführende Patriarch wird zwar von Ankara, aber nur von einem Teil der Gemeinde akzeptiert.
Darüber hinaus haben auch immer wieder muslimische Minderheiten wie die Aleviten Probleme in der laut Verfassung noch immer laizistischen und säkularen Republik. Offiziellen Minderheitenstatus haben nur die jüdischen, armenischen und orthodoxen Gemeinden. Allerdings dürfen sie kein Eigentum erwerben oder eigenen Nachwuchs ausbilden.
Zwar besserte sich die Lage der religiösen Minderheiten zu Beginn der AKP-Regierung Anfang der 2000er Jahre. Und noch Anfang dieses Jahres wurde in Istanbul die bulgarisch-orthodoxe Eisenkirche wiedereröffnet. Laut Menschenrechtsorganisationen und vielen Betroffenen selbst ist die Religionsfreiheit in der Türkei jedoch nach wie vor weit davon entfernt, ihrem Namen gerecht zu werden.