Zum ersten Mal seit Gründung der Türkei haben 18 nicht-muslimische Religionsführer gemeinsam eine Erklärung zur Religionsfreiheit im Land veröffentlicht. "Als die religiösen Repräsentanten und Leiter alter Gemeinden verschiedener Religionen und Glaubensrichtungen, die in diesem Land seit Jahrhunderten verwurzelt sind, sind wir frei in der Ausübung unserer Religion und unserer Traditionen. Äußerungen, wonach wir unterdrückt würden, sind völlig unwahr”, heißt es wörtlich in der Erklärung, die am 31. Juli veröffentlicht wurde.
Unterschrieben haben den Text unter anderem der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomaios I., der geschäftsführende armenische Patriarch Aram Atesyan, der syrisch-orthodoxe Patriarch Yusuf Cetin, die bulgarisch-orthodoxe und die chaldäisch-katholische Kirche und Rabbi Rav Isaak Haleva.
Ist die Erklärung ein Diktat aus Ankara?
Damit widersprechen die Geistlichen nicht nur anhaltenden Vorurteilen aus dem Ausland, sondern wehren sich ganz konkret gegen eine Aussage des US-amerikanischen Vizepräsidenten Michael Pence. Der hatte nur vier Tage vor Veröffentlichung der Erklärung kritisiert, dass es in der Türkei keine Religionsfreiheit gebe.
Pence' Vorwurf steht im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren des evangelikalen US-Pastors Andrew Brunson, um den sich Ankara und Washington seit Wochen streiten: Die Türkei wirft ihm Terrorunterstützung vor, während US-Präsident Trump ihn zu einer "nationalen Geisel" ernannte und nun mit drastischen Wirtschaftssanktionen die Freilassung Brunson erwirken möchte.
In der Krise kommt das Statement der Religionsführer für die türkische Regierung zu einem günstigen Zeitpunkt.
Wie kam es zu der Erklärung?
Das zeitliche Aufeinanderfolgen der beiden Aussagen deutet auf eine Intervention der türkischen Regierung hin. Tuma Celik, der seit Juni dieses Jahres als Abgeordneter für die pro-kurdische Partei HDP im Parlament sitzt, bestätigte dem Magazin "Al-Monitor", dass die Regierung die Geistlichen um eine Stellungnahme zu Pence Äußerung gebeten habe. Wie der Inhalt dieses Statements aussehen sollte, sei indes nicht weiter kommuniziert worden.
Zwei Tage nach der Anfrage aus Ankara lud der Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, die Religionsführer dann zu einem Gespräch nach Istanbul ein. Das habe Druck auf die Geistlichen ausgeübt, bemerkt Celik, der syrianischer Christ ist.
"Sie befürchteten, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn sie zu dem Treffen gehen, ohne die Erklärung abgegeben zu haben", sagte er. "Und sie nach dem Treffen zu veröffentlichen würde den Eindruck erwecken, man würde unter Druck agieren." Also habe man nicht lang gezögert und eine regierungsfreundliche Erklärung verfasst.
Angst vor Ankara
Für Celik würden die Minderheiten in der Türkei damit als Mittel gegen den Westen instrumentalisiert, "während sie im Inland eher als Außenposten des Westens und nicht als Bürger angesehen werden".
Die Veröffentlichung einer so regierungsfreunlichen Erklärung ist unterdessen für viele Christen ein Beweis dafür, dass sie nicht frei seien, ihre Religion auszuüben. Das betonte zum Beispiel Garo Paylan, ein armenischer Jurist der HDP. Auch die armenische Zeitung "Agos" schrieb sinngemäß, dass die Erklärung ein Beleg für den Druck sei, der auf den Christen und Juden in der Türkei liege.
Religonsfreiheit und der Vertrag von Lausanne
Die Frage nach der Religionsfreiheit in der Türkei ist so alt wie die Republik. Eines ihrer Gründungsdokumente ist der Vertrag von Lausanne, worin grundsätzlich allen nicht-muslimischen Gruppen ein gewisser Schutz garantiert wird.
Den offiziellen Minderheitenstatus haben indes nur die jüdischen, armenischen und orthodoxen Gemeinden. Grund dafür ist unter anderem, dass andere christliche Konfessionen drei Jahre nach Gründung der Türkei auf bestimmte Zusicherungen verzichtet hatten.