Care: Im Irak hilft nur langfristiges Engagement

"Humanitäre Notsituation ist längst nicht vorüber"

Vor über einem Jahr wurde die irakische Stadt Mossul von der IS-Besatzung befreit. Doch die völlig zerstörte Altstadt bleibt bis heute vom Krieg gezeichnet. Es sei so "als hätte der Krieg erst gestern aufgehört", schildert das Hiflswerk Care.

Kirche in Mossul unter Schutz / © Ahmed Jalil (dpa)
Kirche in Mossul unter Schutz / © Ahmed Jalil ( dpa )

Ein Jahr ist es her, dass die irakische Armee die Stadt Mossul vom "Islamischen Staat" zurückeroberte. So etwas wie Normalität ist seitdem noch nicht in Iraks zweitgrößte Stadt zurückgekehrt." Auch ein Jahr nach den Kämpfen sieht es in vielen Teilen der Stadt noch so aus, als hätte der Krieg erst gestern aufgehört", berichtet Anica Heinlein vom Hilfswerk "Care", die mit ihrer Kollegin Ninja Taprogge gerade von einem einwöchigen Besuch aus dem Krisenland zurückkommt.

Blindgänger liegen zwischen den Steinen

Ihre Erkenntnis aus der Reise: "Auch wenn es um den Irak stiller geworden ist, ist die humanitäre Notsituation längst nicht vorüber." Um den Menschen zu helfen, könne es keine schnellen Lösungen geben – nur langfristiges Engagement, um in den Trümmerstädten des Irak wieder ein Umfeld zu schaffen, in dem Leute leben könnten.

Rund zwei Million Iraker warteten darauf, in ihre Heimatorte zurückzukehren, gab die Hilfsorganisation Oxfam im Juli bekannt, doch viele trauen sich noch nicht – auch wegen möglicher Sprengfallen. Leben kann man momentan laut "Care" bereits im Osten der Stadt, teilweise auch im Westen. Die Altstadt ist dagegen komplett zerstört, "dort steht kein Stein mehr auf dem anderen", sagt Taprogge. Bedrückend sei es gewesen, durch diese Straßen zu laufen, berichtet sie, vorbei an von Einschüssen durchlöcherten Häuserruinen.

Die Trümmerfelder jenseits des Straßenrands sind Gefahrenzone: Blindgänger liegen zwischen den Steinen, deshalb können die Ruinen nicht einfach abgetragen und schon gar nicht betreten werden. Zuletzt sei die Zahl der Menschen gestiegen, die durch Minen oder Trümmerteile zerstörter Häuser verletzt wurden, erklärte "Ärzte ohne Grenzen" zum Jahrestag der Befreiung Mossuls im Juli. Care-Referentin Heinlein schätzt, dass es wohl noch zehn Jahre dauern wird, bis die Trümmerhaufen in mühsamer Handarbeit gesichert sind.

Care hat 4.000 Pakete verteilt

Um für die Menschen wieder ein gutes Lebensumfeld zu schaffen, engagiert sich "Care" etwa in einem Gesundheitszentrum in West-Mossul. Dort stellt das Hilfswerk beispielsweise HIV- oder Hepatitis-Tests zur Verfügung, die junge Paare auf Anweisung der Behörden durchführen müssten, um überhaupt heiraten zu dürfen.

Auch in anderen Gegenden im Irak sind die Helfer aktiv: in der Region Zumar etwa, wo Gesundheitsstationen mit medizinischen Geräten ausgestattet und wo Baby-Hilfspaketen mit Windeln, Seife oder Shampoo an junge Mütter ausgegeben werden. "Care" hat nach eigenen Angaben allein in diesem Jahr schon über 4.000 solcher Pakete verteilt.

Etwa 140.000 Einwohner zähle das Gebiet um Zumar – und doch ist es erst eine Woche her, dass hier der erste Kreißsaal der Region eröffnet wurde, berichtet Heinlein. Vorher mussten werdende Mütter für eine klinische Entbindung in das zwei Stunden entfernte Mossul fahren.

Die Zukunft der Menschen sei völlig ungewiss

Ein dritter Einsatzort ist das Flüchtlingslager in der Region Dohuk, wo vor allem Jesiden leben. Sie sind vor mittlerweile vier Jahren vor dem IS geflüchtet, doch auch nach dem Sieg über die Terrormiliz sei es nicht absehbar, dass die Menschen wieder in ihre Heimatregionen zurückgingen, sagt Heinlein.

Die Zukunft dieser Menschen sei völlig ungewiss – jedenfalls sei das Notlager, wie es im Moment ist, keine dauerhafte Lösung. "Auch nach vier Jahren leben die Menschen immer noch in behelfsmäßigen Unterkünften aus Zeltplanen und Wellblechdächern." Die Hilfsorganisation sorgt in diesen Zeltstädten immerhin für ein Abwassersystem und Sanitäranlagen.

Bei aller Not, die die "Care"-Mitarbeiterinnen bei ihrer Reise erlebten, sahen sie dort doch auch etwas Hoffnung: Sie staunten, dass zwischen den Trümmern schon wieder ein erstes Teehaus aufgemacht hatte, oder wenn sie den Optimismus der Laborantin im Gesundheitszentrum miterlebten, die trotz aller Zerstörung an eine Perspektive für ihre Heimat glaubt. "Es haben uns dort viele Menschen sehr beeindruckt", sagt Ninja Taprogge.

Von Lukas Kissel


Quelle:
KNA