Christen in Syrien wehren sich gegen Schulschließungen

"Großer Verrat" am christlichen Volk

Mehrere christliche Schulen im Norden Syriens sind gewaltsam geschlossen worden. Christen und Kurden beschuldigen sich gegenseitig. Die Situation ist kompliziert. Die betroffenen Christen fürchten um ihre kulturelle Existenz.

Syrische Schulkinder / © Anas ALkharboutli (dpa)
Syrische Schulkinder / © Anas ALkharboutli ( dpa )

Ein Schuss in die Luft. Dann noch einer. Dann ganz viele. Schauplatz: der Eingang zu einer christlichen Schule, neben einer Kirche, in Qamischli, einer Stadt im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei.

Die Schüsse sind die letzte Warnung der kurdischen Verteidigungseinheiten YPG und der mit ihr verbundenen christlichen aramäisch-assyrischen Miliz Sutoro an die Menschenmenge um sie herum: Christen, überwiegend aus der Gruppe der Suryoye, haben sich zum Protest gegen die Schulschließung durch die kurdische Autonomieregierung versammelt.

Lehrplan nach syrischem Baath-Regime verboten

"Das syrische Volk ist eins! Mit Seele und Blut – befreit Syrien!", skandieren einige Männer lautstark. Andere haben Spruchbänder dabei oder halten den Milizen trotzig die syrische Flagge entgegen. Die syrischen Nationalfarben waren schon vorher wichtiges Symbol eines Demonstrationszugs durch die Stadt Qamischli, die vor mehr als 90 Jahren von Überlebenden des Genozids an christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich gegründet wurde.

Kirchenvertreter haben zu dem Protest aufgerufen. Denn die Regierung der Demokratischen Föderation Nordsyrien – ein seit knapp fünf Jahren de facto autonomes Gebiet entlang der Grenze zur Türkei – hat die Schulen der Christen in der Region geschlossen.

Der Grund: Die überwiegend von der syrisch-orthodoxen oder armenisch-orthodoxen Kirche geführten Schulen weigern sich, Lehrpläne aus Zeiten des syrischen Baath-Regimes zu verwerfen und sich bei der Autonomieregierung registrieren zu lassen.

"Andere Ideen gelten schlichtweg als falsch"

Bereits vor zwei Jahren wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach die Privatschulen eine Genehmigung der Bildungsbehörden benötigen. Diese sei zwar nicht an spezielle Lehrpläne gebunden, erklärte kürzlich Mohammed Salih Ebdo, Vize-Vorsitzender des zuständigen Bildungsrates.

Aber: Das Gesetz verbietet Unterricht, der auf dem Lehrplan des syrischen Regimes basiert. Genau das war in den meisten christlich geführten Schulen seit Ende der 1920er Jahre gängige Praxis – an der sie festhalten wollen. Die Loyalität erklärt sich aus den historisch guten Beziehungen der Christen zur syrischen Regierung, die sich seit Jahren schützend vor die christlichen Minderheiten stellt.

Die Schulschließungen seien nicht gegen die Christen gerichtet, betonte Ebdo, sondern gegen Assad und alle, die seinem Baath-Regime nahe stünden. Die kurdische Selbstverwaltung wolle die Lehrpläne vom Geist des bisherigen Regimes befreien: "Das Regime erkennt keine andere Wahrheit an als die eigene. Andere Ideen gelten schlichtweg als falsch", so Ebdo.

"Versuch, unsere Sprache auszulöschen"

Den gleichen Vorwurf müssen sich die Kurden allerdings inzwischen von Christen anhören. Der syrisch-orthodoxe Bischof von Schweden, Ablahad Gallo Shabo, sprach von einem "großen Verrat" am christlichen Volk. "Es ist ein Versuch, unsere Sprache auszulöschen, und eine Machtdemonstration, die wir niemals akzeptieren werden." Zugleich lobte der Geistliche – von Schweden aus – Assad und die Führung in Damaskus.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mahnte in einem Brief an die kurdische Autonomieregierung, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, "dass die christlichen Minderheiten der Assyrer, Aramäer, Chaldäer und Armenier in Nordsyrien nicht willkommen" seien. Stattdessen sollten sich Kurden und Christen auf den gemeinsamen Feind konzentrieren: radikale Islamisten, unterstützt von der türkischen Regierung.

14 christliche Privatschulen bleiben vorerst geschlossen

Würden die Christen tatsächlich ihre Lehrpläne ändern, wäre dies auch eine Absage an eine jahrzehntealte Vereinbarung mit der Regierung in Damaskus, so die GfbV: "Die Schulen befürchten, dass ihre Abschlüsse woanders nicht mehr anerkannt werden." Zwar wäre der Unterricht mit neuen Vorgaben wieder möglich. Ob die Absolventen aber an syrischen Unis angenommen würden, sei fraglich.

Während mehrere Verbände im Ausland um Unterstützung bitten, bleiben 14 christliche Privatschulen in Nordsyrien vorerst geschlossen. Nicht nur in Qamischli gab es deshalb in den vergangenen Wochen Demonstrationen – die zum Teil gewaltsam beendet wurden.

Wenn in dieser Woche das neue Schuljahr beginnt, könnte es sein, dass gut 7.000 betroffene Kinder erst mal zu Hause bleiben müssen.

Von Marion Sendker


Quelle:
KNA