Mit 79 Jahren denken wohl die allermeisten Arbeitnehmer nicht mehr an einen Karriereschub. Doch für Kardinal Francisco Javier Errazuriz Ossa, Ordensmann und emeritierter Erzbischof von Santiago de Chile, kam es anders. Als enger Vertrauter des argentinischen Papstes Franziskus kam er 2013 zu einer dritten Karriere: Franziskus machte ihn zu einem jener Kardinäle, die ihn bei der Leitung der Weltkirche beraten und eine Kurienreform im Vatikan voranbringen sollen. An diesem Mittwoch wird Errazuriz nun 85 Jahre alt.
Mit Papst Franziskus teilt der sympathisch-gewinnend wirkende Geistliche nicht nur eine bemerkenswerte Zugewandtheit und Bereitschaft zu Demutsgesten. Die beiden teilten offenbar lange auch eine fatale Fehleinschätzung der Lage um sexuellen Missbrauch in der chilenischen Kirche. Beide mussten in den vergangenen Monaten ungewöhnlich stark zurückrudern.
Missbrauchsopfer beschuldigen Errazuriz, den später verurteilten Priester Fernando Karadima (88) vor Strafverfolgung geschützt zu haben. Hinter vorgehaltener Hand hieß es bereits seit langem, unter die Teppiche des Bischofspalais von Santiago sei allerlei Schmutz gekehrt worden. Noch mehr als gegen seinen Nachfolger Kardinal Ricardo Ezzati (76) wandte sich die öffentliche Meinung gegen Errazuriz.
Vatikanberater, Schönstatt-Leiter, Mahner für Versöhnung
Für seine dritte Karriere als Vatikanberater brachte der Ordensmann Erfahrungen aus seinen zwei anderen weltkirchlichen Karrieren mit: als Generaloberer der Schönstatt-Patres (1974-1980) und als Leiter einer der wichtigsten Diözesen Lateinamerikas (1998-2010). Dazu eine robuste Gesundheit, die er auch jahrzehntelanger sportlicher Betätigung verdankt.
Von 1971 bis 1990 war Errazuriz in der Leitung der Schönstatt-Bewegung in Vallendar bei Koblenz tätig und 1996 bis 1998 als Bischof von Valparaiso. Eindrücke von der vatikanischen Schaltzentrale, die er später mitreformieren sollte, gewann er 1990 bis 1996 als Sekretär der Ordenskongregation. Von 2003 bis 2007 war Errazuriz Vorsitzender des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM; dem Kardinalskollegium gehört er seit 2001 an. Wie viele Staaten Lateinamerikas trägt Chile, der wirtschaftliche Musterknabe Lateinamerikas, innere Wunden aus der Zeit der Militärdiktaturen. Errazuriz war immer ein Mahner für Versöhnung nach der 17-jährigen Diktatur unter General Augusto Pinochet (1973-1990). 3.000 Menschen kamen während des Militärregimes ums Leben; Zehntausende wurden misshandelt.
Immer wieder hat der Kardinal Opfern wie Tätern die Hand gereicht, damit diese aufeinander zugehen. Und: Mit einem öffentlichen "Mea culpa" bat er 2000 auch um Verzeihung für Versäumnisse der katholischen Kirche. Ein blinder Fleck dabei scheint allerdings sexueller Missbrauch gewesen zu sein.
Kampf gegen moralischen Relativismuss
Seine Schulbildung genoss der am 5. September 1933 in Santiago geborene Kirchenmann bei den Steyler Missionaren des Liceo Aleman, einem deutschsprachigen Gymnasium. Später studierte er Mathematik und engagierte sich in der aufkommenden Schönstatt-Bewegung. Seine Studien in Theologie und Philosophie vervollständigte er in Fribourg/Schweiz, wo er auch 1961 zum Priester geweiht wurde. Begegnungen mit Pater Josef Kentenich (1885-1968), dem Gründer der Schönstatt-Bewegung, prägten ihn für sein Leben. Errazuriz wurde zum Regionaloberen und 1974 zum Generaloberen des Säkularinstituts der Schönstatt-Patres ernannt. Später war er als Vorsitzender des Generalpräsidiums auf allen fünf Kontinenten unterwegs.
Als Erzbischof von Santiago und CELAM-Vorsitzender kämpfte er gegen moralischen Relativismus, "Homo-Ehe", Abtreibung und Sterbehilfe. Angesichts des wachsenden Einflusses von Pfingstkirchen und Sekten in Lateinamerika scheute er sich schon damals nicht, die Defizite der römischen Kirche offenzulegen.
Dass der Kirchenmann mit der hohen Stirn in hohem Alter noch mal Gelegenheit bekam, im Auftrag des Papstes eine Reform der Kirchenleitung mitzugestalten, hätte er sich 2010 bei seiner Emeritierung wohl nicht träumen lassen. Und dass er nun am Ende noch so scharf ins Kreuzfeuer der Kritik geraten würde, auch nicht. Kurz vor seinem runden Geburtstag zuletzt geisterten sogar Gerüchte durch die Medien, Franziskus könnte ihn und den australischen Kurienkardinal George Pell (77) aus seinem Beraterkreis ausschließen.
Von Alexander Brüggemann