Momentaufnahmen zum Tag der Wohnungslosen

Letzte Station Straße

Zwangsräumung oder eine frühe Berufsunfähigkeit: Der Weg in die Wohnungslosigkeit führt oft über persönliche Krisen. Laut Hilfsorganisationen machen zunehmend auch sehr junge Erwachsene Platte und finden schwer den Weg zurück.

Autor/in:
Pat Christ
Schlafsäcke für Obdachlose / © Boris Roessler (dpa)
Schlafsäcke für Obdachlose / © Boris Roessler ( dpa )

Von seinem letzten Geld fuhr Tom W. (Name geändert) nach Usedom. Am Ende der Reise, so sein Plan, wollte er sich die Pulsadern aufschneiden. "Plötzlich kam doch ein Fünkchen Hoffnung auf", sagt der 52-Jährige, der seit Anfang August keine Wohnung mehr hat. Vielleicht würde er doch wieder Fuß fassen können.

Mit diesen Gedanken machte sich W. schließlich auf den Weg zurück in seine Heimatstadt Würzburg.

"Tag der Wohnungslosen"

Er ist einer von wahrscheinlich mehr als einer Million Menschen in Deutschland, die derzeit keine Wohnung haben. Eine genaue Statistik gibt es nicht, allerdings veröffentlicht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe jährlich eine Schätzung.

Zuletzt prognostizierte der Verein im vergangenen November für 2018 rund 1,2 Millionen Wohnungslose. Auf diese Menschen und ihre Schicksale macht jedes Jahr am 11. September der "Tag der Wohnungslosen" aufmerksam.

W. ging nach Usedom, bevor seine Wohnung zwangsgeräumt wurde. Seit einem Jahr wusste der ehemalige Bundeswehroffizier, dass er sich eine neue Bleibe suchen musste. Doch er sah sich nicht um. Wie gelähmt saß er monatelang in seinem Zimmer. W. hat massive psychische Probleme.

Schon vier Mal war er in der Psychiatrie. Einen Umzug in Angriff zu nehmen, konnte er sich einfach nicht vorstellen. Das ganze Leben erschien ihm als etwas unendlich Mühsames, das seine Kräfte überstieg.

Auf Usedom kratzte er neuen Mut zusammen. Zurück in Würzburg betrat er erstmals in seinem Leben die Bahnhofsmission. Dort verwies man ihn auf die Kurzzeitübernachtung. W. hatte Glück: "Es war nicht viel los, ich durfte alleine in einem Zimmer schlafen." Die Sozialarbeiter machten ihm Hoffnung, dass er vielleicht einen Platz im Betreuten Wohnen bekommen könne. Eines ist für Tom W. klar: "In die Obdachlosenunterkunft gehe ich nicht."

Gefährlich für Frauen

Conny Illing sagt über sich: "Ich mache seit sechs Jahren Platte." Die 45-Jährige lebt in Heilbronn. Mit 32 Jahren wurde die Facharbeiterin für Schweinezucht aufgrund einer schweren Erkrankung Frührentnerin. Irgendwann lebte sie auf der Straße. Versuche, in einer WG unterzukommen, scheiterten.

Nirgendwo, berichtet die Frau, der man das harte Straßenleben ansieht, sei ihr eine Tür geöffnet worden. Dabei wächst Illings Wunsch nach sicheren vier Wänden, einem Bett und, was ihr höchstes Glück wäre, einem Garten: "Es ist als Frau gefährlich, alleine auf der Straße zu leben." Einmal hätten zwei Männer versucht, sie zu vergewaltigen.

Steigende Zahl von Wohnungslosen

Hilfsorganisationen beobachten, dass die Zahl der Wohnungslosen steigt. "Seit 2011 erleben wir einen Anstieg", sagt Thomas Mühlbauer, der das "Haus der Wohnungslosenhilfe" der Bischof-Hermann-Stiftung in Münster leitet. Dieses Haus sowie die ergänzende Einrichtung "Hilfevermittlung und Kurzzeitübernachtung" versorgen knapp 130 wohnungslose Männer. Das reicht in den Wintermonaten inzwischen nicht mehr. Deshalb gibt es seit einiger Zeit ab November eine "Winternothilfe". Hier finden weitere 30 Menschen in Wohncontainern Platz.

Barbara Roth vom Caritas-Zentrum Fürstenfeldbruck beobachtet, dass immer mehr junge Leute wohnungslos werden. Darauf reagierte die Organisation mit dem Projekt "JuWo - Beratungsstelle und Unterkunft für junge, akut wohnungslose Erwachsene". Bis zu fünf junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren können aufgenommen werden. Durchschnittlich sind vier Plätze belegt.

Die meisten Klienten lebten in Familien, wo Streit und Gewalt den Alltag dominierten. "Nach der Volljährigkeit verlassen sie das Elternhaus", sagt Roth. Weil sie noch eine Schule besuchen, eine Lehre machen oder von Sozialhilfe leben, können sie sich im Großraum München keine Wohnung leisten.

Caritas bietet Krankenwohnung

Dem Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Osnabrück fiel auf, wie schlecht es Obdachlosen im Krankheitsfall geht. Daraufhin eröffnete die Organisation vor einem Jahr im niedersächsischen Ankum eine Krankenwohnung. Hier können sich kranke Wohnungslose auskurieren. "Bisher haben wir acht Menschen aufgenommen", sagt Sozialarbeiterin Sonja Korosa. Einige waren verletzt oder hatten Wunden. Andere litten unter Magen-Darm-Problemen, Rückenschmerzen oder Erkältungen. Auch chronisch kranke Wohnungslose erhalten die Chance, sich in Ankum zu regenerieren.


Quelle:
epd