"Ich werde immer mehr zu einem leeren Blatt. Ich fühle mich zu langsam, ich komme innerlich nicht mehr mit. Mein Leben entgleitet mir, Stück für Stück". So oder so ähnlich beschreiben Demenzkranke das Fortschreiten ihrer Krankheit. Angst, Trauer, Wut und Überforderung: Im Kampf gegen Demenzerkrankungen sind schon viele Hoffnungen enttäuscht worden.
Hilfe und Seelsorge für Betroffene
In der ab Montag zum vierten Mal bundesweit veranstalteten "Woche der Demenz" werben Bundesregierung, Wissenschaftler, Ärzte und Betroffenenverbände vor allem um Verständnis und die Unterstützung für Erkrankte und Angehörige. Bundesweit haben sich inzwischen mehrere Hundert Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz gebildet - Netzwerke von Kirchen, Vereinen und Gesundheitseinrichtungen, die Demenzbegleiter und Angehörige schulen, Cafes für Demenzkranke gründen oder Beratung, Hilfe oder Seelsorge für Betroffene anbieten.
Etwa 1,7 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer Demenz. Hinter dem Begriff verbergen sich rund 50 unterschiedliche Erkrankungen, die häufigste davon ist Alzheimer. Ohne entscheidende Fortschritte könnte die Zahl der Menschen mit Demenz hierzulande bis 2050 auf rund drei Millionen anwachsen, schätzt die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft. Die menschlichen, aber auch die finanziellen Belastungen sind erheblich; Kostenschätzungen für Deutschland gehen von 40 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr aus.
Bisherige Medikamententests liefern vorrangig enttäuschende Ergebnisse, wie der Verband forschender Arzneimittelhersteller einräumt. Eine 2014 publizierte Untersuchung über die von 2002 bis 2012 in Studien erprobten Medikamente ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 Prozent.
Ein passendes Medikament auf dem Markt?
Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Köln, rechnet damit, dass in den kommenden Jahren ein Medikament entwickelt wird, das den Verlauf der Erkrankung verlangsamt. "Ein Medikament, das Alzheimer heilt, werden wir aber wohl alle nicht mehr erleben", warnt der Neurologe vor großen Hoffnungen.
Michael Heneka vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn betont, Medizin und Wissenschaft hätten in den vergangenen Jahren ein völlig verändertes Verständnis von Alzheimer erarbeitet. Bislang seien die Forscher davon ausgegangen, dass die Erkrankung beginnt, wenn sich erste Anzeichen von Gedächtnisstörungen zeigten, erläutert der Wissenschaftler. Das passiere meist zwei bis drei Jahre, bevor das Krankheitsbild richtig ausgeprägt sei. "Mittlerweile wissen wir, dass Demenzen fast 20 oder 30 Jahre früher beginnen - zu einem Zeitpunkt, an dem keiner etwas davon merkt."
"Pathologisches Dreigestirn"
Auch die Suche nach den Ursachen hat Neues ergeben: Jahrzehntelang hat sich die Forschung auf die vielbeschriebenen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn konzentriert, die die Nervenzellen schädigen. "Mittlerweile gehen wir aber von einem pathologischen Dreigestirn aus", sagt Heneka: den Ablagerungen außerhalb der Zellen, Eiweißverklumpungen in den Zellen und Fehlfunktionen des Immunsystems. Diese Faktoren reagieren offenbar über Jahrzehnte miteinander. Es sei jetzt wichtig, die frühe Phase der Erkrankung besser zu verstehen, so der Neurologe. Es müssten unterschiedliche Therapien für die verschiedenen Krankheitsphasen entwickelt werden.
Experten sehen zudem mehrere Faktoren für das Ausbrechen von Demenz: Das größte Risiko ist das Alter. Nach dem 65. Lebensjahr verdoppeln sich Erkrankungen alle fünf Jahre. Nach dem 85. Lebensjahr beträgt das Risiko fast 50 Prozent. Zwei bis fünf Prozent der Erkrankungen seien erblich verursacht, sagt Heneka.
Aber auch der Lebensstil hat Bedeutung: Übergewicht, Bluthochdruck oder Entzündungen im Körper spielen eine Rolle. Regelmäßiger Sport im mittleren Lebensalter senkt das Demenzrisiko, viel psychischer Stress erhöht es. Ein gesünderer Lebenswandel hat deswegen in den vergangenen Jahren zu einem leichten prozentualen Rückgang der Erkrankungsraten geführt. Das ändert aber nichts daran, dass die Zahl der Demenzkranken insgesamt in den kommenden Jahren dramatisch wachsen wird - einfach, weil die Zahl der alten Menschen zunimmt.