Großes Domkonzert unter dem Motto "Schenk uns Frieden"

"Eine eindringlichere Bitte als die von Bach gibt es nicht"

Der Wunsch nach Frieden zieht sich wie ein Leitmotiv durch die Musikgeschichte. Für das Konzert mit dem Gürzenich-Orchester Köln an diesem Donnerstag hat Domkapellmeister Metternich repräsentative Beispiele ausgewählt.

Beethovens "Missa solemnis" dirigierte Metternich zuletzt beim Großen Domkonzert 2016 / © Beatrice Tomasetti (DR)
Beethovens "Missa solemnis" dirigierte Metternich zuletzt beim Großen Domkonzert 2016 / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Auf dem Programm heute Abend stehen Bach und Pärt, Haydn, Milhaud und Schönberg. Wie passt das zusammen?

Eberhard Metternich (Domkapellmeister und Leiter der Kölner Dommusik): In der Literatur gibt es eine erstaunlich große Auswahl an Kompositionen, die sich mit dem Thema Frieden beschäftigen. Und das war für mich bei diesem Konzert das zentrale Motiv. Auf der Suche nach geeigneten Vokalstücken habe ich eine ganze Menge gefunden, die ich gerne realisiert hätte.

Es ging also mehr um die Qual der Wahl. Allerdings war das Kriterium auch die Machbarkeit: Was eignet sich für die Knaben des Kölner Domchores? Und welche Chorsätze passen zu dem Vokalensemble Kölner Dom, das wiederum aus Erwachsenen mit gut ausgebildeten Stimmen besteht? Außerdem galt es auch, die personellen Kapazitäten des Orchesters zu berücksichtigen, das zeitgleich zu den Proben im Dom immer noch in sein eigenes Programm in der Oper oder in der Philharmonie eingebunden ist, zu meiner Freude aber trotzdem auch wieder bei dieser vor acht Jahren begründeten Kooperation mit der Dommusik mitspielt.

Aus dieser Gemengelage ergaben sich die nun ausgewählten fünf Stücke, von denen zwei zeitlich außerdem noch in Bezug zu den beiden Weltkriegen stehen, demnach also erst nach 1920 komponiert wurden.

DOMRADIO.DE: Was ist jeweils das Charakteristische an dieser Musik?

Metternich: Das Stück "Da pacem Domine" von Arvo Pärt, das der Komponist nach den Anschlägen in Madrid 2004 geschrieben hat, ist das jüngste von allen und basiert auf einer gregorianischen Melodie. Wie immer bei Pärt überzeugt es mit Schlichtheit. Diese Musik passt ganz wunderbar in den Dom und schafft gleich zu Beginn eine geradezu meditative Atmosphäre. Die "Cantate de la Paix" schrieb Darius Milhaud 1937 für den Pariser Knabenchor "Petits Chanteurs à la Croix de Bois" als a-capella-Motette und eignet sich von seiner ursprünglichen Bestimmung für junge Sänger schon mal ganz ausgezeichnet auch für den Domchor.

Milhaud gilt als einer der Vertreter einer neuen französischen Musik ab den 1920er Jahren. Was ihn aber für uns noch einmal besonders attraktiv macht, ist, dass seine "Petits Chanteurs" die Keimzelle der "Pueri Cantores" sind, dieses internationalen Chorverbandes, in dem unser Domchor und unser Mädchenchor assoziiert sind und an dessen Chortreffen wir uns weltweit – wie zuletzt in Rio de Janeiro – regelmäßig beteiligen.

Im Zentrum der Programmarchitektur steht die "Missa in tempore belli" von Haydn, der längste Beitrag. Sie ist 1797 unter dem Eindruck einer militärischen Bedrohung entstanden: Napoleon stand vor den Toren Wiens. Und so schildert Haydn mit seinen Mitteln diese Spannung einer befürchteten Invasion mit Trompetenfanfaren und Paukenschlägen, die deutliche Einflüsse von Militärmusik aufweisen.

Arnold Schönbergs "Friede auf Erden" wiederum, das als letzte Komposition vor seiner Auseinandersetzung mit der 12-Ton-Technik gilt und 1907 geschrieben wurde, nimmt Bezug auf die Botschaft der Engel in Bethlehem. Textgrundlage ist hier ein weltliches Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, der mit Blick auf die 2000-jährige Geschichte des Christentum kritische Fragen stellt, am Ende seines Textes aber dennoch der Hoffnung Ausdruck gibt, dass doch eines Tages eine Generation diesen von allen ersehnten Frieden herstellen möge.

DOMRADIO.DE: Bach kommt bei Ihnen erst am Ende, obwohl er – chronologisch betrachtet – doch eigentlich an den Anfang gehört. Warum bildet das "Dona nobis pacem" aus der h-Moll-Messe das Finale?

Metternich: Es gibt unzählige Messen, die mit der Friedensbitte "Dona nobis pacem" enden, die in diesem Jahr sehr bewusst auch das Motto zur Domwallfahrt bildet. Denn sie will an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erinnern. Nun kann man diesen letzten Satz aus dem Agnus Dei meistens nicht aus seinem musikalischen Gesamtzusammenhang herauslösen, ohne den Kompositionsfluss zu zerstören.

Bei der h-Moll-Messe ist das anders. Hier kann das "Dona nobis pacem" – auch wegen der Monumentalität dieser bedeutenden geistlichen Komposition innerhalb Bachs Gesamtoeuvre, der das vollständige Ordinarium des lateinischen Messtextes zugrunde liegt – durchaus für sich bestehen. Denn dem Typus nach handelt es sich bei der h-Moll-Messe um eine Missa solemnis, die aus 18 Chorsätzen und neun Arien besteht und an der Bach mehrere Jahrzehnte arbeitete. Also hat auch das "Dona nobis pacem" allein für sich genommen schon ein großes Gewicht.

Zunächst gab es nur das Kyrie und das Gloria. Gegen Ende seines Lebens stellte Bach aber dann noch die übrigen Sätze aus Bearbeitungen früher komponierter Sätze, überwiegend aus seinen Kantaten, und neuen Kompositionen zusammen. Eine eindringlichere Bitte um Frieden als die von Bach gibt es meines Erachtens nicht. Daher bekommt sie auch ihren Platz am Ende des Konzertes. Schließlich soll dieser Schluss-Appell, dem nichts hinzuzufügen ist, im Raum stehen bleiben.

DOMRADIO.DE: Sie sprachen es schon an: Dieses Große Domkonzert mit dem Gürzenich-Orchester Köln erlebt seine achte Auflage. Was steckte ursprünglich einmal hinter dieser Idee?

Metternich: Dieses Format ist das Ergebnis einer überaus positiven Zusammenarbeit mit dem damaligen Generalmusikdirektor Markus Stenz, die über Opernprojekte, an denen Domsingkinder beteiligt waren, zustande kam. Daraus ergab sich die Idee, auch den Dom als Raum für eine gemeinsame Kooperation zu erschließen. Stenz zeigte sich sofort aufgeschlossen.

Seitdem gab es schon eine ganze Reihe musikalischer Höhepunkte. Denn natürlich bietet die Unterstützung durch ein großes und sehr renommiertes Orchester auch unseren Chören noch einmal ganz andere musikalische Perspektiven. Ich erinnere nur an die "Missa solemnis" von Beethoven 2016 oder an das Fauré-Requiem unter dem Nachfolger von Stenz, Francois-Xavier Roth, der im Mai dieses Jahres dann mit der Aufführung der Oper "Neither" von Morton Feldman noch einmal einen ganz besonderen Akzent im Bereich der Neuen Musik gesetzt hat und so diese Tradition weiterträgt. Davor aber gab es auch die "Messe solennelle" von Berlioz, die "Quattro pezzi sacri" von Verdi, die f-Moll-Messe von Bruckner oder 2013 zum 150-jährigen Bestehen des Kölner Domchores die Chichester Psalms von Bernstein in Kombination mit der Psalmensinfonie von Strawinsky. Alle diese Konzerte waren ganz besonders und hatten ihre je eigene Ausdruckskraft.

DOMRADIO.DE: Was bedeuten solche Kooperationen für die Kölner Dommusik?

Metternich: Die Zusammenarbeit mit Orchestern, wie sie auch mit dem Kölner Kammerorchester unter Christoph Poppen oder punktuell mit Concerto Coeln besteht – zwei Ensembles, mit denen wir schon große Oratorien wie zuletzt die Matthäus-Passion oder das Mozart-Requiem realisieren konnten – weiten den Horizont unserer Sänger. Das sind einfach tolle Erfahrungen. Jeder Klangkörper hat sein eigens Profil. Sich als Chor jeweils darauf einzustellen – auch auf eine neue Dirigentenpersönlichkeit – macht den besonderen Reiz und die Herausforderung aus.

DOMRADIO.DE: Apropos Herausforderungen: Die Vorbereitungen für heute Abend sind in vollem Gange. Woran arbeiten Sie noch so kurz vor zwölf?

Metternich: Wir treten mit zwei Chören auf – in der Summe also mit 150 Sängerinnen und Sänger. Für die neuen A-Knaben ist es sogar das erste große Konzert – und dann gleich mit dem Gürzenich-Orchester im Dom. Das bedeutet auch Lampenfieber und positive Spannung, die bis zum letzten Ton gehalten werden will. Außerdem brauchen wir einfach immer wieder neu Zeit, uns den akustischen und räumlichen Gegebenheiten anzupassen. Wenn das aber gelingt – und dafür haben wir immerhin sehr fleißig geprobt – ist ein solches Konzert musikalisch und spirituell ein Geschenk.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

 

Aus der Vogelperspektive: Gürzenich-Orchester und Vokalensemble Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Aus der Vogelperspektive: Gürzenich-Orchester und Vokalensemble Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

 

Die Jüngsten im Kölner Domchor fiebern ihrem ersten Konzert entgegen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Jüngsten im Kölner Domchor fiebern ihrem ersten Konzert entgegen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

 

Das Vokalensemble Kölner Dom singt die "Missa in tempore belli" von Haydn / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Vokalensemble Kölner Dom singt die "Missa in tempore belli" von Haydn / © Beatrice Tomasetti ( DR )

 

Das Vokalensemble Kölner Dom singt "Friede auf Erden" von Arnold Schönberg / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Vokalensemble Kölner Dom singt "Friede auf Erden" von Arnold Schönberg / © Beatrice Tomasetti ( DR )