Er ist kein Mann der schnellen Urteile. Der Theologe Frank Richter wägt vielmehr ab, überlegt, analysiert. Er kann zuhören. Damit gewinnt der 58-Jährige regelmäßig Sympathien. In Sachsen macht er sich seit Jahren für den Dialog stark. Nun will der langjährige Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in die Lokalpolitik - als Oberbürgermeister im sächsischen Meißen.
Auf Anhieb 36,7 Prozent Wählerstimmen
Die Stadt hat Potenzial - nicht nur wegen des berühmten Porzellans. Sie liegt strategisch gut an der Elbe nahe Dresden, blickt auf eine jahrhundertealte Geschichte zurück. Richter ist in Meißen geboren, lebt aber erst seit Mai dort. Der DDR-Bürgerrechtler und Schriftsteller will nicht mehr nur reden über Politik, das Ost-West-Verhältnis, die Fremdenfeinde von "Pegida" und das Ertragen anderer Meinungen - er will Entwicklungen selbst beeinflussen.
Sein Aufschlag im ersten Wahlgang am 9. September ist vielversprechend: Auf Anhieb erreicht der Parteilose - unterstützt von SPD, Linken und Grünen - 36,7 Prozent der Wählerstimmen und verweist den von der CDU unterstützten ebenfalls parteilosen Amtsinhaber Olaf Raschke auf Platz zwei (32,5 Prozent).
Eine endgültige Entscheidung bei der Oberbürgermeister-Wahl fällt nun am Sonntag in zweiter Runde. Für den Sieg reicht dann die einfache Mehrheit. Im Rennen ist auch noch der FDP-Kandidat Martin Bahrmann, der 14,9 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang erhielt. AfD-Mann Joachim Keiler hatte nur 13,7 Prozent Zustimmung bekommen und zog seine Kandidatur zurück.
Austritt aus der CDU wegen fehlender Streitkultur
Richter sagt, er habe sich geehrt gefühlt, als ihm die Bürgerinitiative "Meißen kann mehr" die Kandidatur angetragen habe. Viele Mitglieder der Initiative sehen Gräben in der Stadtgesellschaft. Der Theologe soll sie überwinden. Er selbst war jahrelang CDU-Mitglied, trat aber im vergangenen Jahr aus der Partei aus - nach eigenen Aussagen unter anderem wegen ihrer Schulpolitik und einer fehlenden Streit- und Diskussionskultur.
In seinen Entscheidungen ist Richter konsequent. Der größte Bruch für ihn persönlich dürfte das Ausscheiden aus dem Priesteramt 2005 gewesen sein - der Liebe wegen - er wollte heiraten. Mittlerweile ist Richter evangelisch und zum zweiten Mal verheiratet. Dennoch sagt er: "Ich bin geweihter katholischer Priester, das bleibt, auch wenn ich das Amt nicht ausüben kann."
Aufgewachsen im sächsischen Großenhain studierte Richter in Erfurt und Neuzelle katholische Theologie. 1987 wurde er Priester. Als Kaplan der Dresdner Hofkirche nahm er 1989 an den Demonstrationen gegen das DDR-Regime teil. Um Gewalt abzuwenden und Gespräche mit den Mächtigen herbeizuführen, gründete er spontan aus einer Demonstration heraus die Dresdner "Gruppe der 20".
Ein Unpolitischer war er nie. Doch er will mehr erreichen. Seit der Bundestagswahl sei in ihm der Gedanke gereift, dass er nicht in der Theorie bleiben könne, "weil dieses Land eine politische Entwicklung nimmt, die in die falsche Richtung führt", begründet Richter seine Kandidatur für das Oberbürgermeisteramt. Als Demokrat müsse er aktiv dagegenhalten.
Richter: "Ohne Dialog bekommen wir es auch nicht hin"
Erst 2017 wechselte Richter zur Stiftung Frauenkirche als einer von drei Geschäftsführern. Er wolle wieder mehr "von theologischen Wurzeln unserer Gesellschaft sprechen", sagte er damals. Doch nach Bekanntwerden seiner Kandidatur war dann schnell Schluss. Richter schied Ende Juni bei der Stiftung aus. Zunächst hatte er um eine unbezahlte Freistellung gebeten, doch das wurde ihm nicht gewährt.
Richter leitete fast acht Jahre die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Im Januar 2015 öffnete er dort Räume für eine Pressekonferenz der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung. Dafür geriet er scharf in die Kritik. "Heute würde ich so nicht mehr entscheiden", sagt er, aber unter den damaligen Umständen schon. Er wisse, dass solch eine Pressekonferenz "eine Ausnahme bleiben muss".
In seinem kürzlich vorgelegten Buch "Hört endlich zu!" plädiert Richter für eine bessere Debattenkultur. Der Dialog sei "kein Allheilmittel, aber ohne Dialog bekommen wir es auch nicht hin", sagt er. Sein vielzitiertes Credo: "Kommunikation kann schiefgehen, Nicht-Kommunikation wird schiefgehen."
Von Katharina Rögner
Update: Am Abend wurde bekannt, dass Frank Richter die Wahl zum Oberbürgermeister knapp verloren hatte. Die Welt berichtet: "Ihm fehlten nach erster Auszählung nicht einmal 100 Stimmen zum Sieg. Nach vorläufigem amtlichen Endergebnis erzielte Richter 42,6 Prozent. Der von der örtlichen CDU unterstützte Amtsinhaber Olaf Raschke schnitt mit 43,5 Prozent etwas besser ab - und kann nun seine dritte Amtszeit antreten."