DOMRADIO.DE: Sie haben die Reise als Journalist beobachtet. Das Baltikum ist ja nicht gerade eine Katholiken-Hochburg. In Estland zum Beispiel machen die Katholiken nur rund 0,5 Prozent der Bevölkerung aus. Warum, denken Sie, reist der Papst trotzdem in diese Länder?
Markus Nowak (Journalist und Beobachter der Baltikumreise): Das ist eine gute Frage. Auch deswegen, weil es so wenige sind. Im Vorfeld haben die Bischöfe vor Ort betont, dass er kommt, um die wenigen Katholiken zu stärken.
Auf der anderen Seite, wenn man auch die anderen beiden Länder anschaut, sind die Balten gar nicht so unkatholisch. Insbesondere das südlichste der drei Länder, nämlich Litauen, da sind 46 Prozent der Menschen katholisch. In Lettland sind es zwischen 20 und 25 Prozent.
DOMRADIO.DE: Also müssen die Leute auch unterschiedlich angesprochen werden, oder?
Nowak: Die Schwerpunkte der Reise waren sehr unterschiedlich. Im doch noch recht katholischen Land Litauen gab es sehr stark spirituelle Aspekte. Der Papst ist auf die heutige und historische Rolle der Kirche in der Gesellschaft eingegangen. In Lettland, wo der Anteil der Katholiken doch etwas geringer ist und zudem auch die orthodoxe und lutherische Kirche sehr stark ist, gab es einen ökumenischen Aspekt. Und schließlich in Estland, wo es kaum Katholiken gibt, da hat er die Gläubigen gestärkt.
DOMRADIO.DE: Jetzt kennen wir ja alle die Bilder, wenn der Papst in stark katholisch geprägte Länder, wie beispielsweise vor kurzem Kolumbien, reist. Da stehen dann tausende Menschen, die ihn mit schwenkenden Fähnchen empfangen und ihm zujubeln. Welcher Empfang wurde dem Papst denn in den baltischen Ländern beschert? Wie haben die Letten, Esten und Litauer auf den hohen Besuch aus Rom reagiert?
Nowak: Ziemlich unterschiedlich. Bei der Landung in Litauen und bei der ersten Ansprache waren es recht wenige Menschen. Aber das hat sich geändert. Im Laufe des ersten Besuchstages kamen immer mehr Menschen. Es standen doch einige tausende Menschen am Straßenrand, als er durch die Stadt gefahren ist und im Papamobil die Leute begrüßt hat. Auch bei einer spontanen Krankensalbung waren viele interessiert.
In Lettland waren es um einiges weniger; tatsächlich auch deswegen, weil das Wetter nicht mitgespielt hat. Im Baltikum sind es jetzt schon tagsüber nur zehn Grad mit Regen. Da möchte man nicht die ganze Zeit draußen stehen.
In Estlands waren es wiederum überraschend viele, die zum großen Gottesdienst erschienen sind. Es sind so viele gekommen wie erwartet. Im Vergleich zu Litauen, waren es zwar 90.000 Menschen weniger, aber es sind einfach andere Proportionen. Aber insgesamt war es eine herzliche Aufnahme - solange das Wetter mitgespielt hat.
DOMRADIO.DE: Jetzt wurden ja immer wieder Vergleiche zur Reise von Johannes Paul II gezogen, der vor 25 Jahren ebenfalls das Baltikum bereiste. Weshalb werden diese Vergleiche gezogen und vor allem wie fallen sie aus?
Nowak: Die Vergleiche werden schon deswegen gezogen, weil der Papst im gleichen Monat wie Johannes Paul II vor 25 Jahre in die Länder reist. Und das wird ein bisschen auch als Anlass genommen, den Impuls, den damals Johannes Paul II den Ländern gebracht hat - religiös und spirituell - nochmal neu zu entflammen.
Es ist ganz normal, dass dann auch verglichen wird. Das war dann auch immer wieder meine Frage an die Menschen, die an den Straßen standen oder die bei den Papst-Begegnungen dabei waren. Natürlich konnten sich einige an den ersten Besuch vor 25 Jahren erinnern. Viele haben mir berichtet, dass es damals ganz anders war. Es war etwas eindringlicher. Aber der Hintergrund war auch ein ganz anderer. Damals waren diese drei Staaten erst zwei Jahre unabhängig. In Vilnius zum Beispiel war erst vier Tage vorher die russische Armee wieder abmarschiert. Dann ist der damalige Papst erschienen, als er Oberhaupt der katholischen Kirche. Das ist einfach etwas ganz anderes.
DOMRADIO.DE: Jetzt fiel die jetzige Reise in eine durchaus angespannte Zeit für die katholische Kirche. Inwieweit hat denn das Thema Missbrauch eine Rolle gespielt?
Nowak: Das Thema Missbrauch spielt im Baltikum kaum eine Rolle. Das Baltikum selbst hat damit relativ wenig Berührungspunkte, weil die Kirche bis in die 1990er Jahre von der Sowjetmacht unterdrückt wurde. Es gab eigentlich keine katholischen Schulen und keine katholischen Institutionen, wo das vielleicht hätte passieren können. Wenn man das so ausdrücken möchte.
DOMRADIO.DE: Aber der Papst hat das Thema Missbrauch selbst angesprochen?
Nowak: Ja, zweimal. Nämlich bei einem Treffen mit Jugendlichen, wo er der Kirche institutionelles Versagen vorgeworfen hat und er als Grund für den Kontaktverlust zwischen Kirche und Jugend die fehlende Authentizität der Seelsorge betont hat.
Dann hat er beim Rückflug im Flieger gestern Abend, nochmal kurz das Thema Missbrauch angesprochen. Da hat er davor gewarnt, das Fehlverhalten früherer Zeit ausschließlich nach heutigen Kriterien zu betrachten.
DOMRADIO.DE: Herr Nowak, abschließend noch Ihre Bilanz. Meinen Sie, der Vatikan kann die Reise als einen Erfolg verbuchen?
Nowak: Das kann man, glaube ich, durchaus so sehen. Ich finde die Frage wichtig, was für Früchte trägt die Reise in den Ländern? Das ist natürlich etwas, was erst die Zeit zeigen wird. Denn die Länder sind doch mittlerweile anders und säkularisierter, als noch vor 25 Jahren unter Johannes Paul II. Wir werden sehen.
Das Interview führte Moritz Dege.