In Sachen Sexualkunde war die Bundesrepublik im deutsch-deutschen Vergleich ein Spätstarter. Während die DDR bereits 1966 eine interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft Sexualpädagogik aus der Taufe hob, brachte die Kultusministerkonferenz (KMK) der Bundesrepublik erst zwei Jahre später, am 3. Oktober 1968, ihre "Empfehlungen zur Sexualerziehung in den Schulen" heraus. Ziel im Osten wie im Westen war es, Schülerinnen und Schülern "ein sachlich begründetes Wissen" zu Fragen der Sexualität zu vermitteln, wie es etwas trocken im Papier der KMK heißt.
Vor 50 Jahren erlebte die Gesellschaft einen tiefgreifenden Umbruch, die "sexuelle Revolution" brach sich ihre Bahn. "Erotik, Sexualität wurden als wichtige Wohlfühlquelle der Bevölkerung entdeckt", so der Sozialpädagoge Uwe Sielert. Es gab freilich auch andere Stimmen - ein berühmtes Beispiel: die ebenfalls 1968 veröffentlichte Enzyklika "Humanae Vitae" von Papst Paul VI. (1963-1978), die alle Formen der künstlichen Empfängnisverhütung wie Kondome oder die seit 1960 erhältliche Pille ablehnte.
Eltern gefragt
Mitunter prallten Welten aufeinander, und es stellte sich die Frage, welche Rolle Schule da überhaupt spielen sollte. In allererster Linie, so hielten die Kultusminister in ihrer Empfehlung von 1968 fest, seien die Eltern gefragt. Das in der Schule vermittelte Wissen dagegen solle den Heranwachsenden ermöglichen, "auf diesem Gebiet Zusammenhänge zu verstehen, sich angemessen sprachlich auszudrücken und sich ein Urteil - auch über schwierige und ungewöhnliche Erscheinungen - zu bilden".
Damals wie heute galt Sexualkunde als Querschnittsaufgabe quer durch Fächerkanon und Schulformen. So oblag dem Religionsunterricht die Aufgabe, "das theologische Verständnis der Geschlechtlichkeit des Menschen und die daraus abzuleitenden Forderungen an den Menschen" zu erklären. Zu den Unterrichtszielen hieß es in den Empfehlungen, Grundschüler sollten bis zum Ende des ersten Schuljahres den Unterschied der Geschlechter und die "Tatsachen der Mutterschaft" kennen. In der Oberstufe hatten die Lehrer unter anderem ethische und rechtliche Themen rund um Sexualität zu behandeln.
50 Jahre nach 68: kein Mangel an Stoff
Die weitere Ausgestaltung regelten die Länder - und das ist heute noch so, auch wenn die ersten Empfehlungen der Kultusminister Ende 2002 aufgehoben und durch neue Vorgaben ersetzt wurden. Einen besonderen Stellenwert genießt die Zusammenarbeit von Eltern und Schule, betont ein Sprecher. Klingt einfach, ist aber kompliziert.
Denn auch heute, 50 Jahre nach 68, wandeln sich die Verhältnisse - und das auf vielen Ebenen.
Pornografie im Netz und in Sozialen Medien, Missbrauchskandale und #MeToo, dazu Debatten rund um die "Ehe für alle" sowie wechselnde Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen: an potenziellem Stoff für den Unterricht besteht kein Mangel. Unterdessen sitzen in den Klassen Schüler aus streng religiösen Familien oder unterschiedlichen Kulturen neben Kindern und Jugendlichen, die sexuelle Gewalt im engsten Umfeld erlebt haben, und solchen, die aus sogenanntem behütetem Hause kommen.
Indoktrination der Kinder?
In der jüngeren Vergangenheit sorgten in einigen Bundesländern Änderungen an den Sexualkunde-Lehrplänen für Proteste - speziell der Aspekt sexuelle Vielfalt, also der Umgang etwa mit lesbischen oder schwulen Menschen, lässt die Emotionen regelmäßig hochkochen.
Kritische Eltern befürchten eine Indoktrination ihrer Kinder.
Fürstin Gloria von Thurn und Taxis etwa beklagte vor gut drei Jahren, dass schon Achtjährige über Kondome und Dildos aufgeklärt würden.
Gleichzeitig wolle man Kindesmissbrauch bekämpfen - "warum bringt man dann Achtjährigen Sexleben bei?" Das passe für sie nicht zusammen, so Gloria, die zugleich die verantwortlichen Pädagogen bedauerte: "Die armen Lehrer, die solche Dinge in der Schule behandeln müssen, die tun mir echt leid."
Laut Gesetz sind Schüler zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht verpflichtet. Wichtig, so die Vorsitzende Katholische Elternschaft Deutschlands, Marie-Theres Kastner, sei ein Mitspracherecht der Eltern. "Konflikte gibt es dann, wenn Lehrer vorab keine Informationen weitergeben oder getroffene Absprachen missachten."