DOMRADIO.DE: Verstehen Sie das Phänomen?
Günther Ginzel (Jüdischer Journalist und Publizist, seit Jahrzehnten schreibt er über das jüdische Leben in Deutschland): Nein, das verstehe ich überhaupt nicht. Wir haben vor kurzem noch den Vorsitzenden der Partei gehört, der das Dritte Reich einen Vogelschiss nannte. Wenn man so über eine Geschichte spricht, die 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, dann geht mir das nicht in den Kopf, wie man überhaupt als normal denkender Mensch sich mit der AfD abgeben kann.
DOMRADIO.DE: Ein Hauptmotiv, den Verein zu gründen, sei der Antisemitismus durch Muslime. Jetzt ist zahlenmäßig aber der muslimische Antisemitismus in Deutschland nicht so groß, wie der von Rechtsradikalen. Wird hier nicht ein Problem geschürt und aufgebauscht?
Ginzel: Es gibt unter Muslimen zweifelsohne Antisemitismus. Sie sind meist schon mit einer antijüdischen Propaganda aufgewachsen. Das ist ein Problem. Das ist auch eine Gefahr. Ich werde mich hüten, das zu minimieren. Aber wenn wir davon sprechen, was jetzt im Moment jüdische Menschen gefährdet, dann sind es deutsche Neonazis, die immer radikaler werden. Sie marschieren etwa völlig offen durch Wuppertal - mit der Parole: "Wer Deutschland liebt, ist Antisemit." So weit sind wir gekommen und das waren keine muslimischen Flüchtlinge.
DOMRADIO.DE: Wird dieser neue Verein "Juden in der AfD" vielleicht am Ende so einer Art Feigenblatt für die AfD sein, zu sagen: Wir sind gar nicht antisemitisch, wir haben schließlich einen Verein "Juden in der AfD"?
Ginzel: Das ist mit Sicherheit so und das erinnert mich an das Dritte Reich. Es erinnert mich an die NSDAP, die dezidiert anti-katholisch war. Der politische Katholizismus wurde von den Nationalsozialisten ähnlich wie die Arbeiterbewegung als Hassobjekt bekämpft. Trotzdem stand in dem Partei-Papier, dass man für das positive Christentum eintrete, und Millionen Christen haben die NSDAP gewählt. Wir haben durchaus Erfahrungen aus der Vergangenheit.
Ich kann ja verstehen, dass man als konservativer Mensch, und Mensch, der sich um sein Vaterland Sorgen macht, mit vielem nicht einverstanden ist. Aber, wie kann man aus Frustration oder aus Zorn eine Partei unterstützen, die eben nicht nur konservative Werte vertritt, sondern die vor allen Dingen radikalen Fremdenhass sät?
Es ist eine Frage der jüdischen Identität, dass ich mich als Jude vor den Schwachen und vor den Fremdling stelle, der hier in dieses Land gekommen ist. Und: "Du sollst den Nächsten und den Fremden in deiner Mitte lieben, wie dich selbst. Er ist Dir gleich".
DOMRADIO.DE: Welche Reaktionen sind denn in den jüdischen Gemeinden wahrzunehmen?
Ginzel: Ich will das mal positiv beantworten. Die Gruppe von Juden, die mit der AfD mehr als sympathisieren, ist zahlenmäßig völlig zu vernachlässigen. Es ist eine kleine Gruppe, die eine riesen Show abziehen und die auch mit sich machen lassen. Aber, dass das jetzt Thema wird, das führt dazu, dass Menschen darüber nachdenken, was geht und was nicht geht, was jüdisch ist, und was das Etikett "Jude" verträgt.
Und das tut es bei der AfD mit Sicherheit nicht. Das gleiche gilt übrigens auch für christliche Gemeinden. Denn auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat deutlich klar gemacht, dass für Christen im Grunde genommen die AfD nicht wählbar ist. Der Evangelische Kirchentag hat deutlich beschlossen: Beim nächsten evangelischen Kirchentag werden keine Vertreter der AfD zugelassen. Menschen, die mit der AfD sympathisieren, ja. Aber Mandatsträger und Funktionäre, für die ist der Kirchentag tabu.
Wir stehen also nicht alleine. Wir müssen das klar machen, damit wir das Etikett des "Bürgerlichen" der AfD nicht überlassen. Von daher bin ich außerordentlich froh, dass sämtliche Organisationen, sämtliche Gemeindeverbände einhellig diese Aktion verurteilen und deutlich machen, dass die AfD für Menschen, die sich wirklich als jüdisch empfinden, nicht wählbar ist.
Das Interview führte Beatrice Steineke.