Die Katholische Kirche hat im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal ihren "Point of no Return" überschritten. Der Essener Bischof Overbeck sagt das im DOMRADIO.DE-Interview. Führende Kirchenmänner wählen ihre Worte mit Bedacht. Gerade in diesen Tagen, da in vielen Bistümern der Ausnahmezustand herrscht, weil entschieden werden muss, wie man mit "Altlasten" umgeht. So setzt sich im Bistum Freiburg der amtierende Bischof Burger deutlich von seinem Vorgänger, Robert Zollitsch, ab, dem er Vertuschung von Missbrauchsfällen vorwirft.
Ruhrbischof Overbeck spricht aber nicht nur von der nötigen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, die ja erklärtes Ziel aller kirchlichen Verantwortungsträger ist. Hellhörig macht es, dass Bischof Franz-Josef im gleichen Atemzug auf das Bild vom Mauerfall in Deutschland verweist. Der Fall der Mauer am 9. November 1989 war das endgültige Ende der DDR. Das Regime hatte abgewirtschaftet. Das System des Sozialismus, so wie es real über Jahrzehnte in Ostdeutschland existiert hatte, war am Ende. Es vollzog sich ein unumkehrbarer Systemwechsel. Eine Systemveränderung ist nach Ansicht des Essener Bischofs auch in der Katholischen Kirche angesagt.
Die Frage der Macht, und wie Kirchenverantwortliche damit umgehen, der Umgang mit der breiten Palette der kirchlichen Problemthemen Sexualität, Homosexualität, Zölibat – all das gehört Overbecks Meinung nach auf den Prüfstand. Und immer wieder natürlich auch die Rolle der Frauen in der Katholischen Kirche. Was er genau in diesen Fragen am katholischen System verändern will, sagt Overbeck nicht öffentlich. Noch nicht? Als Militärbischof wird er vor Augen haben, wie wichtig die richtige Strategie ist. Als einsamer Einzelkämpfer ist er bis dato auch nicht aufgefallen. Und da er als Vorsitzender der Bischöflichen Kommission Adveniat immer wieder in der Weltkirche unterwegs ist, weiß er, wie wichtig es ist, seine bischöflichen Mitbrüder mit auf diesen Weg der Systemveränderung zu bringen. Vielleicht hat Overbeck bei seinem Bild vom Mauerfall auch vor Augen, dass sich das Kirchenvolk in weiten Teilen längst entschieden hat. Nicht, indem es lautstark mit "Wir sind das Volk!" vor den Bischofshäusern die kirchliche Revolution fordert, sondern indem es sich einfach still und leise verabschiedet.
Es spricht Bände, wenn das Durchschnittsalter der deutschen bischöflichen Synodenteilnehmer bei der jüngsten Jugendsynode bei 60 Jahren liegt. Die Jugend hat sich leider längst weitgehend vom katholischen Acker gemacht. Da der Kirche bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bis jetzt kein überzeugender Befreiungsschlag gelingt, machen sich inzwischen auch immer mehr Alte auf den Weg. Die Abstimmung mit den Füßen. Am 9. November 1989 erkannte das Politbüro, dass der "Point of no Return" lange überschritten war. Zu spät für die selbstbestimmte und selbsteingeleitete Systemveränderung.