Am Montag vor 100 Jahren proklamierte der Rat der Volksbeauftragten im Anschluss an die Ausrufung der deutschen Republik das Frauenwahlrecht. Damit war Deutschland am 12. November 1918 eines der ersten Länder, in dem sich Männer und Frauen gleichberechtigt an Wahlen beteiligen konnten. Zum Jubiläum würdigten Politik und Kirche das Ereignis als wichtigen Punkt in der Gleichstellungsgeschichte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte, dies sei eine "fundamentale politische Entscheidung, die zur Gleichberechtigung von Mann und Frau wesentlich und unabdingbar war". Zugleich machte sie am Samstag in ihrem Podcast deutlich, dass es eine dauerhafte Aufgabe sei, die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Realität umzusetzen.
Die Rolle der Frau
Spitzenpolitikerinnen aus allen Bundestagsparteien die heutigen Wählerinnen in Deutschland dazu auf, größeren Einfluss auf die Politik zu nehmen. Justizministerin Katarina Barley (SPD) sagte, es sei wichtig, dass die Frauen "ein für alle Mal klar machen: Mein Geschlecht tut nichts zur Sache, meine Meinung schon!" CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mahnte: Die Rolle der Frau sei ein Seismograph für die Entwicklung in einer Gesellschaft, für die Demokratiefestigkeit – "und genau deshalb sollten wir auch verstärkt Wert auf die gleichwertige Rolle der Frauen unter den Migranten legen".
Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linkspartei, forderte die Frauen auf, an die "Tradition des selbstbewussten Erkämpfens" anzuknüpfen: "Auch Männer haben ein Recht darauf, jede zweite Windel zu wechseln und jeden zweiten Elternabend wahrzunehmen. Im Gegenzug könnten wir Frauen sie dann bei den gut bezahlten, schweren, verantwortungsvollen Führungspositionen zur Hälfte entlasten."
"Das ist eine desaströse Bilanz"
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte, für die meisten "westlichen" Frauen sei die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ein wichtiger Maßstab. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer zeigte sich stolz auf die Errungenschaft des Frauenwahlrechts. "Frauen wägen die Argumente ebenso klug und vernünftig wie Männer ab. Oder eben nicht."
Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock beklagte, dass nur jede dritte Abgeordnete im Bundestag weiblich sei: "Das ist eine desaströse Bilanz." In der Bundesregierung sehe es kaum besser aus. "Bundesminister wie Horst Seehofer oder Andreas Scheuer kommen gleich ganz ohne Frauen aus."
Alte Zeiten
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) lobte die Frauenförderung in Frankreich als vorbildlich. Sie will das Gesetz der Nachbarn prüfen, wonach nicht-paritätisch besetzte Wahllisten zurückgewiesen werden, wie die "Neue Osnabrücker Zeitung" berichtete. In Deutschland gebe es "eine Art Rollback in alte Zeiten". Seit Oktober 2017 betrage der Frauenanteil im Bundestag nur 30,9 Prozent. Damit gehörten derzeit genauso wenig Frauen dem Parlament an wie vor 20 Jahren. Sehr viele Frauen scheiterten immer noch an unflexiblen Strukturen, an veralteten Rollenzuschreibungen und auch an Männernetzwerken. "Mit einer konsequenten Quotenregelung in einer Partei kann da manches aufgebrochen werden", betonte die Ministerin.
Frauen in Führungspositionen
Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, würdigte das Engagement für die Gleichstellung von Mann und Frau. "Den mutigen Frauen, die sich vor mehr als 100 Jahren für das Wahlrecht von Frauen eingesetzt haben, sind bis heute unzählige Frauen und später auch Männer gefolgt, die nicht hinnehmen wollten, wenn Menschen aufgrund ihres Geschlechts unterschiedliche Rechte haben", sagte sie.
Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist das Jahrhundert-Jubiläum ein Ansporn, sich für mehr Frauen in Führungspositionen einzusetzen. Eine aktuelle Umfrage der Initiative "Chefsache", in der sich Konzerne wie Allianz, Telekom oder der "Zeit"-Verlag engagieren, zeigt demnach, dass sich der Karrierewunsch bei Frauen zuletzt abgeschwächt hat: Nur noch 30 Prozent der befragten berufstätigen Frauen wollen eine Führungsposition einnehmen oder weiter aufsteigen. Bei der vorigen Befragung im Januar lag dieser Wert noch bei knapp 37 Prozent.