Stille und ein leichter Herbstwind durchziehen den Nationalpark Biram hoch oben im Norden Israels. Ein paar Hügel weiter liegen die ersten Dörfer des Südlibanon. Schilder weisen auf die jüdische Siedlung aus byzantinischer Zeit, deren Reste der großen Synagoge auf Besucher warten. Das Dorf hingegen, das einst an der dem Libanon abgewandten Parkseite lag, ist nur noch zu erahnen. Üppiges Grün wuchert über die hellen Sandsteinruinen. Vor 70 Jahren, am 13. November 1948, haben die rund 1.000 maronitischen Christen das Dorf verlassen, auf Geheiß der israelischen Armee und im Glauben, dass sie bald wiederkehren können. Seither warten Überlebende und Nachfahren auf Gerechtigkeit.
Die Natur macht sich breit in den Mauerresten, doch die Wurzeln der Dorfbewohner gehen tiefer. Bis heute kommen sie in das einzige intakte Gebäude, das ihnen geblieben ist: die alte Kirche, die jeden Samstag, jeden Festtag, zum Zentrum der Hinterbliebenen des verlorenen Dorfes wird. "Hier habe ich meiner Frau den Heiratsantrag gemacht, hier haben wir geheiratet, hier wurden unsere vier Kinder getauft", sagt Scharbel Nimer. "Mit dem Erwachsenwerden hat es mich immer stärker hierher zu meinen Wurzeln gezogen." Der 52-Jährige zählt zur dritten Generation von Biram-Abkömmlingen. "Bei uns sagen wir: Ich komme aus Biram, ich wohne nur momentan in Jisch."
'Die Angst vor dem Präzedenzfall'
Sollte er heute einen Film über Biram drehen, sagt der ehemalige Knessetabgeordnete David "Dedi" Zucker, "der Titel wäre 'Die Angst vor dem Präzedenzfall'". Ein Präzedenzfall, der streng genommen keiner wäre: Als die Bewohner von Biram während des Unabhängigkeitskriegs ihr Dorf verließen, waren sie längst israelische Staatsbürger. Einzig das melkitische Dorf Ikrit, zwanzig Kilometer weiter westlich gelegen, teilt die Geschichte von Biram. Beide folgten der Aufforderung der israelischen Armee zur Evakuierung, mit der schriftlichen Zusage, in zwei Wochen wiederkommen zu dürfen. "Ein aufrichtiges Versprechen", glaubt Zucker, "keiner wollte die Dorfbewohner bluffen". Bis heute ist es unerfüllt.
Ikrit und Biram sind anschauliche Beispiele für die komplexe Psychologie des arabisch-israelischen Konflikts um das Land. Sehnsucht nach Heimat und Zugehörigkeit stehen der Angst vor der Rückkehr von Millionen palästinensischen Flüchtlingen gegenüber - für die es eben keinen Präzedenzfall geben darf. Biram, sagt Zucker, seinerzeit als Kopf des parlamentarischen Rechtsausschusses mit dem Fall betraut, "ist keine rechtliche oder sicherheitsrelevante Frage: Keiner ist vor den Kämpfen geflohen. Keiner wurde vertrieben. Es gab keine Feindseligkeiten gegen jüdische Besiedlung."
Gesprengt bis auf die Kirche
Stattdessen erlaubte das Oberste Gericht 1951 den Bewohnern die Rückkehr. Doch die israelische Luftwaffe sprengte das Dorf - bis auf die Kirche. Mit der Errichtung eines Nationalparks wurde der Rückkehr der Bewohner eine weitere Hürde gestellt. Dass weder das Justizministerium noch das Büro des Ministerpräsidenten sich zum Thema äußern wollen, ist ein weiteres Indiz, wie sensibel die Frage noch heute ist. In gewisser Weise sei das Zögern der offiziellen Politik verständlich, sagt Irad Gayle, schließlich wolle keiner gern an dunkle Kapitel erinnert werden. Den jüdischen Reservisten aus Schoresch hält dies nicht vom Besuch vor Ort ab. Letzten Endes, sagt er, "geht es um Menschen, und es bleibt eine traurige Geschichte".
Die Dorfbewohner klammern sich weiter an die Hoffnung, dass am Ende die Menschlichkeit siegt. Wie im Fall des Eucharistiekelches, der nach mehr als 60 Jahren seinen Weg zurück in die Kirche gefunden hat. Ein israelischer Soldat hatte ihn während des Kriegs geplündert und später mit sich genommen, als er nach Deutschland auswanderte. Auf dem Totenbett veranlasste er, dass der gravierte Silberkelch zurückgegeben werde.
Dass auch die Bewohner eines Tages in die Ruinen rund um die Kirche zurückkehren werden, daran glaubt der aus Biram stammende Shadi Haloul nicht. In den 70 Jahren der Rückkehrforderungen habe sich nichts geändert. "Wenn wir nicht nochmal 70 Jahre warten wollen, müssen wir unseren Ansatz überdenken." Möglicherweise bietet sein Lösungsvorschlag einen Kompromiss, der Ängsten und Sehnsüchten beider Seiten gerecht werden kann: Statt der Rückkehr in die Ruinen will der Verfechter enger jüdisch-christlicher Beziehungen im Land einen Neuanfang: Ein neues "maronitisch-aramäisch-christliches Dorf" irgendwo in der Nähe des historischen Biram. Friedhof und Kirche könnten dann zur versöhnlichen Brücke werden.