Die Krise der Kirche wurzelt nach Ansicht des Kölner Theologen und Mediziners Manfred Lütz auch in einer Entfremdung ihrer Sprache von den einfachen Gläubigen. Theologische Erkenntnisse müssten übersetzbar und für eine Verkäuferin "oder meinen Friseur verstehbar sein" wie sonntägliche Predigten, sagte Lütz im Interview der Nachrichtenagentur "Kathpress". Ansonsten werde sich "die gegenwärtige Krise des Glaubens" nur noch weiter verstärken und die Kirche weiter an Relevanz in der Gesellschaft verlieren, sagte er am Rande der Tagung "Gott & Gewalt" in Stift Heiligenkreuz, die er als Festredner am Freitagabend eröffnet hatte.
Lütz kritisierte ein weit verbreitetes kirchliches Schweigen über den Abbruch christlicher Traditionen: "Die Menschen glauben nicht mehr an Gott, aber die Kirche redet nicht darüber, sondern lieber über Pastoralstrukturen oder den Zölibat." Auch stelle er fest, dass sich selbst kirchliche Leitungsverantwortliche "offenbar ihrer eigenen Kirchengeschichte schämen, ohne sie eigentlich wirklich zu kennen", so der Theologe. "Die Krise der Kirche wurzelt im Unwissen über die eigene Geschichte."
Wesentliche Werte gehen auf die Kirche zurück
Zu Recht würden religiös-historische Skandale wie etwa die mittelalterlichen Ketzertötungen heute beklagt, sagte der Autor. Doch seien wesentliche Werte und zivilisatorische Errungenschaften wie Toleranz, Mitleid oder auch Internationalität letztlich "christliche Erfindungen", hob Lütz hervor. Vor diesem Hintergrund könnten sich Christen gestärkt den Diskussionen mit Agnostikern und Atheisten stellen und müssten nicht länger der "eigenen Geschichte aus Unwissenheit schämen", unterstrich der Theologe und Mediziner.
Bei der Tagung hatte er auch sein aktuelles Buch "Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums" vorgestellt. Das Buch basiere auf der wissenschaftlichen Vorlage "Toleranz und Gewalt: das Christentum zwischen Bibel und Schwert" des Münsteraner Kirchenhistorikers Arnold Angenendt.