Es ist eine bedrückende Pflicht, die Fernando Gutierrez, der Leiter des Provinziallandtags von Leon, Tag für Tag erfüllen muss. Auf der Website von Spaniens Sozialministerium überprüft er den neuesten Stand der weiblichen Todesopfer häuslicher Gewalt im Land.
Der traurigste Balkon Spaniens
Dann aktualisiert er, falls nötig, die Zahl auf einem Transparent und hängt es zurück an seinen Platz: einen Balkon des Renaissancepalastes Guzmanes, Sitz des Provinziallandtags mitten in Leon. Damit ist der Balkon der traurigste in Spanien - doch er ist wichtig, als Signal, als Mahnung.
In einem Land, das lange Zeit vom Machismo geprägt war, in dem Frauen bis vor wenigen Jahrzehnten ihren Ehemann um Erlaubnis zur Eröffnung eines Bankkontos bitten mussten, kommen manche Männer nicht mit dem Vormarsch des anderen Geschlechtes zurecht.
Landesweit und quer durch alle Schichten ereignen sich immer wieder Misshandlungen durch ehemalige oder gegenwärtige Lebenspartner - bis hin zu Tötungsdelikten. Bis November sind in diesem Jahr schon 43 weibliche Todesopfer zu beklagen, insgesamt 971 seit dem Jahr 2003.
Gesellschaft und Politik reagieren darauf zunehmend sensibilisiert und offensiv. Plattformen und Frauenorganisationen haben sich gegen den Machismo gebildet, gelegentlich kommt es zu Demonstrationen, zwischen den Markthallen von Santiago de Compostela prangt ein Transparent zum Thema.
Bei Einfahrten in Landeshauptstädte wie Vitoria (Baskenland) und Pamplona (Navarra), aber auch in kleinere Orte verweisen Schilder auf eine Null-Toleranz-Haltung bei häuslicher Gewalt; in dieselbe Richtung gehen Skulpturen roter Hände bei Volksfesten in Navarra, die die Abscheu vor machistischen Auswüchsen symbolisieren. Für potenzielle Täter soll die Botschaft unmissverständlich sein: Selbst geringe Aggression ist kein Kavaliersdelikt. Die eigens für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt eingerichtete Notfallnummer 016 ist rund um die Uhr erreichbar.
Regionale Hilfsstellen der Kirche
Spaniens Kirche fahre zwar keine geschlossene Kampagne gegen häusliche Gewalt, so Maria Carmen Ramirez von der Presseabteilung der Spanischen Bischofskonferenz, doch gebe es regionale Hilfsstellen und Programme für Frauen: insgesamt 102 im ganzen Land. Laut neuester Statistik fanden dort bislang rund 22.300 Frauen Hilfe, Aufnahme, Begleitung, psychologische und juristische Unterstützung. Dabei sind Frauen nicht nur von Prügelgewalt betroffen, sondern auch von sozialer Ausgrenzung, sexueller und anderweitiger Ausbeutung.
Aufschlussreich ist der Blick in die Regionen. In Andalusien, wo der südländische Machismo traditionell besonders ausgeprägt war, ist die Zahl der Rat- und Hilfesuchenden am höchsten (6.023). Und dünn besiedelte Regionen wie Galicien (3.414) und Aragonien (2.375) übertreffen - in Relation zur Bevölkerungsdichte - den Millionengroßraum Madrid (2.512) um Längen. Was den Rückschluss zulässt, dass Spanien speziell in ländlichen Gegenden noch immer ein extremes Machismo-Problem hat.
Die Region Kastilien-La Mancha hat im Oktober ein Pioniergesetz in Spanien auf den Weg gebracht, das andere Opfer häuslicher Gewalt in den Fokus stellt, die bislang oft übersehen werden: die Kinder getöteter Frauen. Diese erhalten nun bis zum 18. Lebensjahr eine staatliche Beihilfe in Höhe von 4.000 Euro pro Jahr.
Gleichzeitig haben die weiterführenden Schulen der Region eine Frist von zwei Jahren erhalten, um ein neues obligatorisches Schulfach mit Inhalten zu Gleichberechtigung, Frauenbewegung und Vermeidung häuslicher Gewalt einzuführen. Wenn Spanien das Übel derart an der Wurzel packt und Aufklärungsarbeit leistet, bleibt zu hoffen, dass die Zahlen auf dem Plakat am Palast Guzmanes in Leon irgendwann gegen "0" gehen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.