Anfeindungen statt Nächstenliebe: Etliche orthodoxe Geistliche schüren offenbar lieber den religiösen Konflikt um die Ukraine als in der Kirchenwelt Frieden zu stiften. Emotional deuten Kirchenmänner das Kräftemessen der beiden wichtigsten orthodoxen Patriarchate als geopolitischen Machtkampf zwischen Washington und Moskau - und schrecken selbst vor Kriegsrhetorik nicht zurück.
Für den russisch-orthodoxen Metropoliten Hilarion etwa ist "ganz klar, dass hinter den Handlungen des Patriarchats von Konstantinopel die amerikanische Regierung steckt". Washington wolle die russisch-orthodoxe Kirche schwächen, kritisierte er in der russischen TV-Sendung "Die Kirche und die Welt". Patriarch Filaret wiederum, das Oberhaupt des von der russisch-orthdoxen Kirche abgespaltenen Kiewer Patriarchats, diffamiert immer wieder den Moskauer Patriarchen Kyrill I. Dieser sei der verlängerte Arm von Kreml-Chef Wladimir Putin.
Nur wenige Gläubige
Kyrill I. unterstütze Moskaus Aggression gegen die Ukraine, indem er Propaganda gegen Kiew betreibe, protestierte Filaret. Konstantinopel und Moskau sind die bedeutendsten orthodoxen Kirchenzentren. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., gilt als das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie – und hatte sich im Sommer klar auf die ukrainische Seite gestellt.
Direkt unterstellt sind ihm im türkischen Istanbul (dem ehemaligen Konstantinopel) nur wenige Gläubige. Der russisch-orthodoxen Kirche hingegen gehören bisher mehr als die Hälfte der mindestens 250 Millionen orthodoxen Christen weltweit an. Und so macht Moskau Konstantinopel seine Führungsrolle streitig, die Bartholomaios I. ausbauen und keinesfalls abgeben will.
Ein Auseinanderbrechen der orthodoxen Kirche?
Auf dem Spiel steht die kirchliche Hoheit über rund 30 Millionen orthodoxe Ukrainer sowie etwa 18.000 Pfarreien und ungefähr ebenso viele Geistliche in der ehemaligen Sowjetrepublik. Sie sind in drei ukrainische Kirchen gespalten, die nicht einmal die Taufe gegenseitig anerkennen: die mit Moskau verbundene ukrainisch-orthodoxe Kirche, das 1992 gegründete Kiewer Patriarchat und die bereits 1921 entstandene "Ukrainische autokephale orthodoxe Kirche". Alle Versuche, die Orthodoxie in dem Land zusammenzuführen, scheiterten.
Inzwischen haben sich die Patriarchate von Moskau und Konstantinopel so sehr überworfen, dass ein Auseinanderbrechen der orthodoxen Kirche droht, ein Schisma. Die russisch-orthodoxe Kirche verbot ihren Gläubigen bereits den Besuch von Gottesdiensten der Konstantinopler Kirche. Sie brach außerdem alle Kontakte zu Bartholomaios I. ab. Die zwölf anderen eigenständigen (autokephalen) orthodoxen Kirchen vermeiden es, sich ganz auf die Seite eines der beiden Patriarchen von Moskau und Konstantinopel zu stellen. Aber die Kirchen von Serbien und Polen gingen zuletzt eindeutig auf Distanz zu Konstantinopel.
"Schmerzhafte Lage in der Ukraine"
Ein Schisma halten Kirchenexperten gleichwohl für unwahrscheinlich. Sie gehen davon aus, dass Bartholomaios I. weder die eucharistische Gemeinschaft mit Kyrill I. aufkündigt, noch Kyrill I. sich zum neuen Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie ausruft.
Dennoch streiten beide Kirchenzentren mit harten Bandagen. "Russland ist verantwortlich für die gegenwärtige schmerzhafte Lage in der Ukraine", sagte Bartholomaios I. Anfang September. "Weil Russland das Problem nicht lösen kann, hat das Ökumenische Patriarchat die Initiative zur Lösung des Problems ergriffen." Kommende Woche will Konstantinopel für Dezember ein Vereinigungskonzil für die ukrainische Kirche einberufen. Alle ukrainischen Bischöfe sollen sich in Kiew versammeln und das Kirchenoberhaupt wählen. Läuft alles nach Plan, wird Bartholomaios I. offenbar wenig später der ukrainischen Kirche die Autokephalie (Eigenständigkeit) verleihen.
Doch schon steht fest, dass fast alle rund 90 ukrainischen Bischöfe des Moskauer Patriarchats dem Kiewer Konzil fernbleiben werden. Nur etwa drei Bischöfe wollen teilnehmen. Metropolit Hilarion, Außenamtschef der russsich-orthodoxen Kirche, erklärte das Vereinigungskonzil bereits für gescheitert. Beobachter sprechen eher von einem Patt. Es sieht so aus, als würde in den kommenden Monaten weder Konstantinopel noch Moskau gewinnen.