DOMRADIO.DE: "Brot für die Welt" hat seit der Gründung 2,4 Milliarden Euro eingesammelt. Das ist ein kaum vorstellbarer Betrag. Was haben Sie in den letzten sechs Jahrzehnten damit erreichen können?
Cornelia Füllkrug-Weitzel (Präsidentin von "Brot für die Welt"): Wir haben unglaublich vielen Menschen weltweit mit Unterstützung unserer kirchlichen und nicht kirchlichen Partner helfen können, ein selbstgestaltetes und selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Ohne krasse Armut und Hunger.
Wir haben unendlich vielen Partnerorganisationen geholfen, ihre Regierungen verantwortlich zu halten, beim Wort zu nehmen und sie an ihre Verantwortung zu erinnern. Für die sozialen Grunddienste der Menschen zu sorgen und die Mittel, die sie von der internationalen Gemeinschaft bekommen haben, nicht in die eigene Tasche zu stecken. Wir haben Organisationen unterstützt, die einen großen Hebel angesetzt haben. Zum Beispiel hat es unser Partner Colin Gonsalves, der 2017 den Alternativen Nobelpreis gewonnen hat, geschafft, in der indischen Verfassung das Recht auf Nahrung hinzuzufügen. Das hat dazu geführt, dass viele Maßnahmen erlassen wurden, beispielsweise zur Schulspeisung oder zur Ernährungssicherheit von Schwangeren und Stillenden.
Direkt und indirekt haben wir also stark dazu beigetragen, dass ganz konkreten, einzelnen Menschen geholfen wurde, sich selbst zu helfen. Entwicklungshilfe und Entwicklung wirkt. Es ist eine Fake-News, dass Entwicklungshilfe nichts bewirkt. Es wird nur immer unterdrückt oder nicht darüber nachgedacht, welche Faktoren in diesen 60 Jahren permanent dagegen gewirkt und Bemühungen zur Entwicklung untergraben haben: Die internationale Schuldenkrise, unfaire Handelsbedingungen und jetzt vor allen der Klimawandel und gewaltsame Konflikte. Die letzten beiden sind die Armutstreiber schlechthin.
DOMRADIO.DE: Mit Indien ging es auch los. Das war vor knapp 60 Jahren Teil des ersten Spendenaufrufes. Wenn Sie in diesen sechs Jahrzehnten ein Land oder eine Region rauspicken müssten, wo sich am meisten zum Positiven verändert hat, was wäre das?
Füllkrug-Weitzel: Ich glaube, es gibt da ein Auf und Ab. Man kann nicht sagen, es ist ein Land, was sich zum Positiven entwickelt hat. Die Länder, in denen Krieg und Gewalt herrscht, stehen auf dem allerletzten Platz der ärmsten der armen Länder. Dafür können sie nichts. Es gibt sicherlich Länder, die schon große Schritte gemacht haben, die sich zum Beispiel eine Fischerei oder einen Agrarsektor aufgebaut haben.
Wegen des Klimawandels sind einige Regionen aber fast nur noch bemüht, einem Wetterextrem nach dem anderen hinterherzulaufen und zuzusehen, wie all das, was sie aufgebaut haben, den Bach runtergeht, weil ihnen sozusagen das Land weg trocknet oder wegschwimmt oder weil ihre Insel untergeht. Der Klimawandel ist im Moment der größte Feind der Entwicklung. Er hat großen Landstrichen und Regionen Schäden und Verluste zugefügt, die sie im Grunde selbst nicht mehr aus eigener Kraft kompensieren können. Der volkswirtschaftliche Schaden liegt bei geschätzten 148 bis 300 Milliarden Dollar jährlich. Welches arme Land soll in der Lage sein, sowas aufzufangen?
Entwicklung hilft und Entwicklungshilfe hilft, aber genau das Gegenteil tun Klima- und Handelspolitik, wie zum Beispiel die Rüstungsexportpolitik. Wenn im Kabinett alle zusammen eine entwicklungsförderliche Politik gestalten würden, dann könnten viele arme Länder riesen Sprünge voran machen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.