DOMRADIO.DE: Was meint Aristoteles mit seiner Aussage "Nur der mutige Mensch kann glücklich werden"?
Prof. Dr. Dagmar Borchers (Dozentin für Angewandte Philosophie an der Universität Bremen): Aristoteles beleuchtet das Ganze vor dem Hintergrund der Frage, was zu einem guten Leben beiträgt. Ein gutes Leben ist für ihn ein Leben, mit dem man rückwirkend zufrieden sein kann. Für ihn ist klar, dass man Mut braucht, weil das Gegenteil von Mut in irgendeiner Art immer eine sehr defensive Lebenseinstellung ist. Es ist sehr einleuchtend, dass man viele Dinge, die man gerne machen würde, mit einer sehr furchtsamen oder defensiven Lebenseinstellung schlecht bewerkstelligen kann.
DOMRADIO.DE: "Defensive Lebenseinstellung" heißt wahrscheinlich auch Bequemlichkeit und Faulheit, oder?
Prof. Dr. Borchers: Ich weiß gar nicht, ob unbedingt Faulheit das Gegenteil von Mut ist, aber es stimmt schon in dem Sinne, dass man Dinge umgeht, die einem unangenehm sind.
DOMRADIO.DE: Warum ist Mut denn so eine wichtige Tugend des Menschen?
Prof. Dr. Borchers: Wir Menschen wollen gerne bestimmte Entwürfe in unserem Leben umsetzen, Pläne realisieren und Dinge machen, die uns wichtig sind. Das alles fällt uns aber nicht immer in den Schoß, sondern wir müssen uns oft überwinden. Das müssen auch nicht immer die ganz großen Dinge, sondern können auch kleine Sachen sein, zum Beispiel ein Gespräch zu suchen, einen Konflikt zu lösen oder seine Schüchternheit zu überwinden und zu einer Party zu gehen. Das erfordert auch schon Mut. Von daher ist es ganz wichtig, dass man diese Kraft immer wieder aufbringt. Hinterher hat man was gelernt man und ist einen Schritt weitergekommen. Deshalb ist es auch für unsere persönliche Entwicklung unglaublich wichtig.
DOMRADIO.DE: Das stimmt, wenn man einen Schritt gemacht hat, der für einen persönlich mutig ist, dann ist man danach sehr glücklich. Wer sind denn zum Beispiel mutige Philosophen?
Prof. Dr. Borchers: Mutige Philosophen hat es immer in politischen Verhältnissen gegeben, in denen es gefährlich war, frei zu denken. Das war im 16. und 17. Jahrhundert sehr vertreten. Philosophen wie Thomas Hobbes oder später David Hume, aber auch die Philosophen des Wiener Kreises zu Zeiten des Nationalsozialismus waren für mich mutig. Oder all die Denker und Philosophen der Kritischen Theorie, die dann emigrieren mussten. Auch heutzutage gibt es ganz viele mutige Philosophinnen und Philosophen in autokratisch regierten Ländern.
DOMRADIO.DE: Sie setzen sich am Institut für Philosophie der Uni Bremen beruflich mit Mut auseinander. Was bedeutet denn für Sie Mut?
Prof. Dr. Borchers: Für mich bedeutet Mut, sich immer wieder zu überwinden und Dinge in Angriff zu nehmen, die einem wirklich schwer fallen. Ein Punkt ist da zum Beispiel so etwas wie Konfliktlösung. Das ist oft schwierig. Aber es gibt natürlich auch große Dinge. Wir leben in einem Land, in dem es Gott sei Dank nicht viel Mut bedarf, zu sagen, was man denkt. Ich hatte aber gerade einen Gastprofessor aus einem autokratisch regierten Land zu Besuch, was mir wieder bewusst gemacht hat, wie mutig er ist. Er schreibt Kolumnen und ist wirklich großer Gefahr ausgesetzt. Wir können dankbar sein, dass das hier im Moment nicht der Fall ist.