DOMRADIO.DE: Inwiefern ist die Neugründung einer orthodoxen Kirche der Ukraine ein historischer Schritt?
Dr. Johannes Oeldemann (Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und Orthodoxie-Experte): Aus Sicht der ukrainischen-orthodoxen Kirche ist es sicherlich ein historischer Schritt. Die Frage ist, ob sich diese Kirche auf lange Sicht etablieren wird und was es für das Miteinander innerhalb der orthodoxen Kirche bedeutet. Denn es hat immer wieder in der Geschichte der Orthodoxie solche eigenständigen Kirchengründungen gegeben. Wie schnell sie und ob sie überhaupt unter allen orthodoxen Kirchen akzeptiert wird, wird erst die weitere Entwicklung der Geschichte zeigen.
DOMRADIO.DE: Nun liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen politischen Schritt handelt. Die politischen Spannungen zwischen Moskau und Kiew sind bekannt. Inwiefern handelt es sich hierbei mehr um einen politischen als um einen kirchlichen Schachzug?
Oeldemann: Zumindest muss man sagen, dass die politischen Kräfte offensichtlich die treibenden Kräfte bei dieser Entwicklung waren. In der Ukraine stehen im März nächsten Jahres Präsidentenwahlen an. Präsident Poroschenko hat nach den derzeitigen Umfragen recht schlechte Chancen, wiedergewählt zu werden. Die Gründung einer eigenständigen Kirche war aus seiner Sicht sicherlich ein Punkt, den er sich zugutehalten wollte und hoffte, dass er auf diese Weise eine stärkere Zustimmung innerhalb der Bevölkerung bekomme.
Auch Präsident Putin verfolgt sicherlich entsprechende Interessen, die Ukraine näher an Moskau zu halten, was durch die Annexion der Krim deutlich wurde. Ebenfalls wird dies durch den Konflikt in der Ostukraine deutlich. Allerdings muss man da auch konstatieren, dass sich das Moskauer Patriarchat in diesem Zusammenhang in gewisser Weise von der Politik Putins distanziert hat. Grund dafür ist unter anderem, dass die Diözesen auf der Krim bislang immer noch zur Jurisdiktion der ukrainischen-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats gehörten und eben nicht direkt Moskau unterstellt waren.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch Beweggründe abseits der Politik? Kirchenpolitik?
Oeldemann: Es gibt sicherlich auch kirchenpolitische Hintergründe. Ich denke, in der Ukraine tritt der seit gut 20 Jahren dauernde latente Streit zwischen Moskau und Konstantinopel noch einmal zutage. Dieser ist darin begründet, dass Konstantinopel traditionell an erster Stelle in der orthodoxen Kirche steht. Moskau ist jedoch heute das mit Abstand größte Patriarchat, dem mehr als die Hälfte aller orthodoxen Gläubigen weltweit angehören.
Die Grundfrage ist, ob das ökumenische Patriarchat innerhalb der Orthodoxie eine moderierende Funktion hat, die versucht den Konsens unter den Kirchen herzustellen oder ob es eine direktive Funktion hat. Zum Beispiel im Blick auf die Verleihung der Autokephalie, der Selbstständigkeit, einer Kirche. Darüber konnte schon im Vorfeld des Konzils von Kreta, im Jahr 2016, keine Einigkeit erzielt werden. Jetzt hat Konstantinopel das Heft in die Hand genommen und zwei, bislang unkanonischen Kirchen in der Ukraine, kanonische Legitimität verliehen.
Es ist interessant, zu beobachten, dass das Vereinigungskonzil, welches am vergangenen Samstag in Kiew stattgefunden hat, eigentlich hauptsächlich den Episkopat dieses Kiewer Patriarchats und der autokephalen ukrainischen-orthodoxen Kirche versammelt hat und sich nur zwei Bischöfe, die zum Moskauer Patriarchat gehörten, der neuen Kirche angeschlossen haben. Das heißt, insgesamt ist die jetzt neu entstandene ukrainische-orthodoxe Kirche im Blick auf die Zahl der Diözesen und Bischöfe immer noch kleiner als die ukrainische-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, die dort auch existiert. Zahlenmäßig waren 64 Bischöfe bei dem Konzil in der Sophienkathedrale versammelt. Dort wurde die Kirche als unabhängig deklariert. Jedoch gibt es über 80 Bischöfe des Moskauer Patriarchats in der Ukraine.
DOMRADIO.DE: Sie haben das Konzil auf Kreta im Jahr 2016 erwähnt. Dort sollten sich eigentlich alle orthodoxen Kirchen treffen und politische Absprachen treffen. Einige Kirchen haben gar nicht erst teilgenommen. Was bedeutet denn dieser Schritt für die Spannungen und das Miteinander in der gesamten Orthodoxie?
Oeldemann: Es bleibt noch abzuwarten, wie sich die anderen orthodoxen Kirchen dazu positionieren. Bislang ist es so, dass Moskau einseitig die Kommuniongemeinschaft mit Konstantinopel aufgekündigt hat, aber nicht umgekehrt. Das heißt, streng genommen, kann man eigentlich nicht von einem Schisma innerhalb der Orthodoxie sprechen. Solange die übrigen orthodoxen Kirchen sowohl mit Konstantinopel als auch mit Moskau eine Gemeinschaft pflegen, wird es hoffentlich auch nicht dazu kommen. Wenn es aber zu einer Lagerbildung kommt, dass sozusagen gesagt wird, dass sich die orthodoxen Kirchen zwischen Konstantinopel und Moskau entscheiden müssen, dann droht natürlich ein solches Schisma innerhalb der orthodoxen Kirche. Man kann natürlich nur hoffen, dass es nicht zu einer solchen Verhärtung der Fronten kommt.
Wenn man dem Ganzen überhaupt etwas Positives abgewinnen kann, dann vielleicht dahingehend, dass das Nebeneinander zweier kanonischer Kirchen nicht nur in der Diaspora, sondern auch in einem mehrheitlich orthodoxen Land wie der Ukraine dazu führen könnte, dass man das Problem, was die Orthodoxen in der Diaspora schon seit langem haben, stärker ins Bewusstsein dringt. Bei diesem Problem handelt es sich um die parallele Existenz von Diözesen unterschiedlichen Patriarchats. Außerdem könnte man dadurch intensiver an das Problem herangehen, um eine Lösung zu finden.
DOMRADIO.DE: Sie sind auf der einen Seite Orthodoxie-Experte aber auch Katholik. Was bedeutet dieser ganze Schritt denn für die katholische Kirche? Die Präsidenten Putin und Poroschenko haben Papst Franziskus um Vermittlung gebeten. Wird dies denn passieren?
Oeldemann: Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Und ich halte es auch für problematisch, wenn wir uns von katholischer Seite sozusagen als Vermittler einschalten würden. Das ist eine Angelegenheit, die die Orthodoxen untereinander regeln müssen und einen Weg finden müssen, sodass das Miteinander wieder hergestellt wird. Für unsere ökumenischen Gespräche macht es die Sache natürlich komplizierter, da bei den offiziellen Dialogrunden, die unter dem Vorsitz Konstantinopels abgehalten werden, Vertreter des Moskauer Patriarchats nicht dabei sein werden. Damit fehlt ein großer Teil der orthodoxen Kirche bei diesen Gesprächen. Umgekehrt gibt es natürlich auch direkte Gesprächskanäle mit dem Moskauer Patriarchat sowohl vom Einheitsrat in Rom aus als auch beispielsweise durch die Kontakte, die die Deutsche Bischofskonferenz mit dem Moskauer Patriarchat hat.
Ich denke, wir tun gut daran, die Beziehungen zu beiden Seiten aufrechtzuerhalten und mit beiden Seiten im Gespräch zu bleiben. Zu hoffen ist, dass sich auf absehbare Zeit diese Konfliktlinie löst und die beiden wieder zueinander finden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.