Diese Bibel hat einen langen Weg zurückgelegt: 1866 wurde das Neue Testament in der Sprache des namibischen Volks Nama in Berlin gedruckt. Später gelangte es in den Besitz von Hendrik Witbooi, einem Anführer des Widerstands gegen die deutschen Kolonialherren. 1893 erbeutete die deutsche Schutztruppe die sogenannte Witbooi-Bibel. 1902 schließlich wurde sie dem Stuttgarter Lindenmuseum geschenkt.
Schon bald geht die Reise zurück: Im Februar will Baden-Württemberg das Buch zusammen mit einer Lederpeitsche Witboois der namibischen Regierung zurückerstatten. Zögernd, aber zunehmend setzt sich Deutschland mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinander. Dass das Deutsche Reich zwischen 1880 und 1919 über das an Fläche drittgrößte Kolonialreich verfügte, spielte im öffentlichen Bewusstsein lange keine Rolle. Doch in den Museen lagern mehr als zwei Millionen Objekte aus den ehemaligen Besitzungen.
Debatte über Umgang mit Objekten
Wie in Stuttgart debattieren Politiker, Historiker und Museumsmacher landauf, landab über den Umgang mit diesen Objekten. Derzeit häufen sich die Bekenntnisse für eine verstärkte Rückgabe. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Debatte 2017 ausgelöst; in einem Bericht für den Präsidenten empfahl das Wissenschaftlergespann Benedicte Savoy und Felwine Sarr die bedingungslose Restitution von Raubgütern. In Deutschland hat sich die Debatte auch an der für Herbst geplanten Eröffnung des Humboldt Forums im Berliner Schloss entzündet.
"Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", kommentierten Mitte Dezember Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und die Staatsministerin für internationale Kultur- und Bildungspolitik, Michelle Müntefering (SPD), die Initiative aus Stuttgart. "Von Museen und Sammlungen erwarten wir die Bereitschaft, sich offen der Frage einer Rückgabe von Kulturgütern zu stellen", schrieben sie in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" - und warnten vor einer Verzögerungstaktik.
Gemeinsame Stellungnahme geplant
Bund und Länder wollen unterdessen bis März eine gemeinsame Stellungnahme zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes vorlegen, wie der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ankündigte. Auch Vertreter der Museen sehen die Politik gefordert: Es gebe noch viele nicht gelöste rechtliche Fragen, sagte die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, dem MDR.
Allerdings müssen auch die Museen liefern: Besucher müssten erfahren, wie die Exponate in die Häuser gelangt seien, fordern Grütters und Müntefering "maximale Transparenz". Museen müssten fragliche Bestände zudem digitalisieren; eine bundesweite Forschungsdatenbank solle errichtet werden. Auch die Verantwortlichen in Afrika, Asien und Ozeanien müssten sehen können, was sich in den Beständen befinde. Das sieht auch der Afrika-Historiker Jürgen Zimmerer so: "Die meisten Besucher wissen immer noch nicht, dass sie im Grunde, wenn sie in ein Völkerkundemuseum gehen, einen Raubkunstpalast betreten", sagte er jetzt der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Nur zurückgeben reicht nicht
Einig sind sich viele Experten aber, dass eine Rückgabe nicht ausreicht. In einem Mitte Dezember veröffentlichten Appell fordern Wissenschaftler aus aller Welt, auch Perspektiven für eine Neugestaltung der Gegenwart zu entwickeln. Der Blick auf die koloniale Vergangenheit könne die Beziehung zu den früheren Kolonien neu definieren und die eigene europäische Geschichte neu entdecken helfen, heißt es. So erinnerten die berühmten Benin-Bronzen nicht nur an ein koloniales Massaker, sondern hätten großen Einfluss auf moderne europäische Kunst gehabt.
Konkrete Hilfe für Kulturinstitutionen und Museen in den Herkunftsländern forderte unterdessen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Notwendig wäre ein Strukturfonds, um Kooperationspartner deutscher Museen zu unterstützen, vor allem bei Restaurierung, Konservierung oder Digitalisierung, sagte Stiftungspräsident Hermann Parzinger. Grütters und Müntefering verwiesen auf die vom Auswärtigen Amt und den Goethe-Instituten organisierten "Museumsgespräche" in afrikanischen Städten: Die Sicht der Afrikaner müsse stärker beachtet werden. Die Ergebnisse sollen 2019 bei einer Konferenz in Kinshasa zusammengetragen werden.