Thomaner-Geschäftsführer: Es geht nicht nur um Gender-Gerechtigkeit

Berliner Staats- und Domchor will Knabenchor bleiben

Bislang ist die Nachfrage überschaubar: Nur wenige Mädchen wollen in Knabenchören mitsingen. Dennoch hat die Gender-Debatte die Traditionschöre erreicht.

Knabenchor / © Tomasetti (Kölner Dommusik)

Der Berliner Staats- und Domchor will ein reiner Knabenchor bleiben. "Es gab bisher die Bewerbung eines Mädchens, das nicht aufgenommen werden konnte, weil der Staats- und Domchor gemäß Satzung ein Knaben- und Männerchor ist", sagte eine Sprecherin der Universität der Künste dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Mutter des Mädchens stelle diese Entscheidung infrage, eine juristische Klage liege allerdings nicht vor. Die Berliner Rechtsanwältin Susann Bräcklein, die sich in dem Fall engagiert, hält den Ausschluss von Mädchen aus Knabenchören für diskriminierend.

Bräcklein sieht in der Nichtzulassung von Mädchen in staatlich geförderten Knabenchören einen Verstoß gegen das Grundgesetz. Das Argument, dass sich der anatomische Unterschied auf die Stimme auswirke, lässt die Juristin nicht gelten. Er sei zwar hörbar, aber nur "subtil", erklärte sie Ende Dezember in Interviews. Rechtlich spiele er keine Rolle.

Sind Knabenchöre diskriminierend? Der Kölner Domkapellmeister sagte im DOMRADIO.DE-Interview: "Nein." Er sieht in der Diskussion eher Chancen – für Jungen, Mädchen und die Gleichberechtigung. Damit steht er nicht allein.

Auf Knabenstimmen ausgerichtet

Marie-Therese Schulte von der Universität der Künste sagte, der Satzung entsprechend sei die künstlerische Arbeit des Staats- und Domchors auf die Entwicklung und Förderung von Knabenstimmen ausgerichtet. Diese Ausbildung unterscheide sich in entwicklungspsychologischer wie auch physiologischer Hinsicht von der künstlerischen Ausbildung von Mädchenstimmen.

Mädchen erführen in der Berliner Sing-Akademie, mit der der Knabenchor eng zusammenarbeite, eine ebenso professionelle Ausbildung. Der Professor für Chorleitung und Dirigent des Staats- und Domchors, Kai-Uwe Jirka, ist zugleich künstlerischer Leiter der Sing-Akademie. Dort gibt es auch einen renommierten Mädchenchor.

Auch andere Knabenchöre sehen in der Nichtaufnahme von Mädchen keine Benachteiligung. Beim Leipziger Thomanerchor hätten bislang keine Mädchen wegen einer Aufnahme angefragt, sagte Geschäftsführer Stefan Altner dem epd, dies habe es in den vergangenen 25 Jahren noch nie gegeben. Gegen Mädchen bei den Thomanern sprächen sowohl die Satzung, die Teil der Rechtsgrundlagen sei, als auch künstlerische Gründe.

Thomaner: Es geht um Klang

Darin sei keine Diskriminierung zu sehen, betonte Altner. In der angegliederten Thomasschule könnten Mädchen an der speziellen musischen Ausbildung ("Thomanerklassen") auch im chorischen Singen teilnehmen. Sie träten auch mit den Thomanern gemeinsam in Konzerten auf.

In der Satzung des 1212 gegründeten Thomanerchors, den schon Johann Sebastian Bach leitete, ist laut Altner festgehalten, dass in dem Chor Knaben und junge Männer singen. "Den Aspekt der Gender-Gerechtigkeit verstehe ich", sagte Altner. Doch sei das Singen im Thomanerchor nicht nur unter diesem Aspekt zu sehen. Es gehe um Klang: Ebenso wenig wie im Orchester Streicher durch Klarinetten ersetzt werden könnten, könnten Mädchen Jungenstimmen ersetzen.

Außerdem sei auch das soziale Miteinander, die Gemeinschaft beim Singen zu berücksichtigen, so Altner. Die Jungen, die etwa mit zehn Jahren als Sopran oder Alt in den Chor einträten, würden im Stimmbruch kurz aussetzen und dann bis zum Schulabschluss mit etwa 19 als Tenor oder Bass weitersingen. Dagegen würden die Mädchen, später junge Frauen, immer mit den kleinen Jungen zusammen im Sopran und Alt singen, gibt Altner zu bedenken.

Bei der Förderung der Thomaner handle es sich auch nicht um eine "Excellenz-Ausbildung", wie Susann Bräcklein meine, fügte er hinzu. Es könne kein Abschluss-Zertifikat erworben werden, das zu irgendeiner Laufbahn berechtige.

Nachfrage von Mädchen offenbar gering

Insgesamt ist die Nachfrage von Mädchen, die in den traditionellen Knabenchören mitsingen wollen, derzeit offenbar gering. Beim Dresdner Kreuzchor gebe es "vereinzelt" Anfragen, insbesondere wenn das Thema in den Medien aufgegriffen worden sei, erklärte eine Sprecherin. Sie würden nach Gesprächen mit den Eltern aber nicht weiterverfolgt. Mädchen würden an hervorragende Kinder- und Mädchenchöre weiterverwiesen. Zuletzt hatte die "Piraten"-Partei in Dresden die Forderung nach einem Kreuzchor für Mädchen erhoben.

Beim Windsbacher Knabenchor und den Regensburger Domspatzen liegen einer epd-Umfrage zufolge keine Anfragen vor. Bei den Windsbachern hatten in den 50er und 60er Jahren insgesamt vier Mädchen zeitweise mitgesungen, wie eine Sprecherin sagte. An eine grundsätzliche Öffnung habe man jedoch nie gedacht. Auch sei 2007 der Versuch gescheitert, neben dem Knabenchor einen Mädchenchor zu etablieren. Im Internat hätten sich damals zu wenige Mädchen angemeldet und damit seien zu wenige bereit gewesen, sich auf die für den Knabenchor geschaffenen Bedingungen einzulassen.


Quelle:
epd
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