Kardinal Kasper zur Erklärung von Kardinal Müller

"Ein Glaubensmanifest, das Verwirrung stiftet"

Der frühere Kurienkardinal Walter Kasper (85) hat auf das am Samstag veröffentlichte "Glaubensmanifest" von Kardinal Gerhard Ludwig Müller reagiert. Hier ist der den Text im vollen Wortlaut dokumentiert.

 (DR)

Ein Glaubensmanifest, das Verwirrung stiftet

Kein Zweifel, das Glaubensmanifest, das Kardinal Gerhard Müller veröffentlicht hat, enthält viele Aussagen des Glaubens, die jeder aufrechte Katholik nur von ganzem Herzen bejahen kann. Manche der Aussagen werden auch manchem evangelischen Christen aus dem Herzen gesprochen sein. Es ist gut, diese fundamentalen Wahrheiten in Erinnerung zu rufen, damit sie in den nur scheinbar wichtigeren aktuellen Debatten nicht untergehen. Soweit, so gut.

Nicht gut jedoch, dass manche Wahrheiten so pointiert herausgestellt werden, dass darüber die andere Hälfte ausgeblendet wird. Nur ein

Beispiel: Es ist zweifellos richtig, dass das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott einen fundamentalen Unterschied im Gottesglauben und Menschenbild zu anderen Religionen bedeutet. Aber gibt es nicht auch Gemeinsamkeiten, vor allem mit den Juden wie mit den Muslimen, im Glauben an den einen Gott? Und sind diese Gemeinsamkeiten zumal heutzutage nicht grundlegend für den Frieden in der Welt und in der Gesellschaft? Die halbe Wahrheit ist nicht die katholische Wahrheit!

An anderen Stellen finden sich pauschale Aussagen, die so nicht stehen bleiben können, etwa wenn gesagt wird, das Gewissen der Gläubigen sei nicht ausreichend geformt. Dieser Satz in dieser Allgemeinheit ist für viele Gläubigen beleidigend. Und was werden viele sagen, wenn sie an Priester denken, denen Missbrauch vorzuwerfen ist? Ist deren Gewissen ausreichend gebildet? Was müssen erst recht Opfer von Missbrauch empfinden, wenn ein Satz wie der "Der Priester setzt auf Erden das Erlösungswerk fort" so völlig undifferenziert dasteht? Das rechte Unterscheiden macht den Theologen!

An anderen Stellen handelt es sich nicht um ein Glaubensmanifest, sondern um ein Manifest von privater theologischer Überzeugung, die so nicht allgemeinverbindlich sein kann. Wieder nur ein Beispiel: Für die Aussage, dass standesamtlich wiederverheiratet Geschiedene und nicht katholische Christen die Eucharistie nicht fruchtbar empfangen könnten, beruft sich das Manifest auf Nr. 1.457 des Katechismus der katholischen Kirche.

Ich habe zweimal nachgeschlagen und diesen Satz dort so nicht gefunden. Ich kenne auch keine andere dogmatisch verbindliche Aussage, in der der Satz in dieser Form steht. Das Manifest spricht übrigens von wiederverheiratet Geschiedenen, deren erste Ehe "vor Gott besteht". Damit setzt es offensichtlich voraus, dass es auch solche gibt, deren erste Ehe vor Gott nicht besteht. Wer kann das entscheiden, und was ist mit diesen?

Auch für die kirchliche Disziplin des Zölibats findet sich eine Berufung auf den Katechismus Nr. 1.579. Doch leider ungenau. Dort steht nämlich das Wort "normalerweise", das im Manifest unterschlagen wird. Tatsächlich gibt es in der katholischen Kirche Priester, welche verheiratet sind: In den mit Rom in Gemeinschaft stehenden Ostkirchen, ehemalige evangelische oder - wie jüngst Papst Benedikt XVI. verfügt hat - ehemalige anglikanische Pastoren. Auch wenn ich persönlich der Überzeugung bin, man müsse über den Sinn der freigewählten Ehelosigkeit der Priester nochmals neu und tiefer nachdenken, so kann zumindest die Diskussion über viri probati nicht verboten sein.

Total entsetzt war ich, als ich gegen Ende des Manifests vom "Betrug des Antichrists" las. Das erinnert fast wörtlich an Martin Luthers Argumentation. Auch Luther hat damals vieles in der Kirche zu Recht kritisiert. Aber der Antichrist-Vorwurf war - wie heute auch unsere lutherischen Dialogpartner sagen - schon damals unangemessen. Steht hinter dem Manifest ein Luther redivivus? Einer, der sich zu Recht für Reformen in der Kirche einsetzt, diese aber am Papst vorbei und gegen ihn durchsetzen will? Ich will das nicht glauben. Denn das könnte nur zu Verwirrung und Spaltung führen. Das würde die katholische Kirche aus den Angeln heben.


Quelle:
KNA